Frank Berzbach: Die Kunst zu lesen
Was für ein Glück, von sich behaupten zu können: „Ich habe meine Berufung gefunden!“ Frank Berzbach, Dozent an der Technischen Hochschule Köln, lehrt Philosophie und Literaturpädagogik, lässt sein Buch mit dieser sehr persönlichen Offenbarung beginnen und legt quasi als Antithese zum Zeitgeist nach: Nicht Scrum Master oder Agile Coach sei er, sondern literarischer Berater und damit fleischgewordene „Amanuensis“. Ein Mensch mit einer altmodischen Tätigkeit.
Auf den ersten Blick mag ein Buch über Bücher, die einen selbst geprägt haben und das reiche Innenleben, aus der Zeit gefallen sein. Aber wer morgen auf der Toilette als erstes den sogenannten Newsfeed seiner Smartpone-App öffnet, müsste es eigentlich wissen: Diese Welt, die moderne, wird mehr denn je geformt aus Wörtern und Bildern, als jemals zuvor. Da ist das Abwischen des Hinterns das einzig Reale, das man eigenen Körper spürt. Weit weg ist die Bitcoin-Wertentwicklung, der Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine oder die neue Epsilon-Variante biologischer oder digitaler Virusfamilien, die unsichtbar Systeme befallen und Totalausfälle evozieren können.
Der Home-Office-Mensch lebt quasi in einer reinen Geschichtenwelt. Und da sollte die Auswahl der richtigen Geschichten, in die wir uns geistig, seelisch und emotional begeben, eigentlich eine höchste Kunst sein. Und nicht Fast Food.
Auf über 200 Seiten entführt der an Geschichten überreiche Frank Berzbach den geneigten Leser in die Essenzen seiner persönlichen Lieblingsgeschichten. Präsentiert sie wie ein Sommelier verbunden im Kontext der Zeit und lässt auch den Autor als lebendige Person nicht außen vor.
„Ich werde von Lektüren und Erfahrungen berichten, um neugierig zu machen. Ich will über die Kunst zu lesen schreiben.“
Wer danach immer noch lieber seine Zeit für „Darüber ist ganz Deutschland geschockt“ – Clickbaiting – Newshäppchen einsetzt, möge sich an Weihnachten im Familienkreis nicht über die angebliche geistige Verarmung einer ganzen Gesellschaft auslassen und seinen eignen gesellschaftlichen Erfolg am Kontostand ablesen. Worte schaffen Realitäten. Und gute Geschichten brauchen Zeit, gute Schreiber und sich öffnende Leser.
Wer wissen will, wie es geht, liest Berzbach.
Und danach eine seiner Empfehlungen.
Frohes: Fest.

Frank Berzbach
Die Kunst zu lesen. Ein Literarturverführer
Illustriert von Ada Romanova
223 Seiten
Eichborn Verlag 2021
Web: https://www.frankberzbach.com/ & https://www.luebbe.de/eichborn/buecher/literatur/die-kunst-zu-lesen/id_8645739
Der Text ist abgedruckt in:
http://www.theo-magazin.de
theo. Das unabhängige katholische Magazin, 2020/03, S. 16-19.