Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
der Philosoph Marx sah den Menschen als Produkt seiner Umgebung: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Gerade die zurückliegenden Monate der Corona-Pandemie haben uns anschaulich gezeigt, wie sehr das Leben „da draußen“ unser Gemüt „da drinnen“ beeinflussen kann. Ein für das bloße Auge unsichtbares Virus machte Alltägliches unmöglich und stellte Nähe, Berührung und Offenheit unter Generalverdacht: Aus Vorsicht wurde Angst, aus Angst Traurigkeit. Manchmal schlug sie in Wut um. Hilflosigkeit und Ohnmacht rüttelten an unseren Nerven. Und rief dunkle Seiten in uns wach: Krisenbereicherung, Durchschlagen ohne Rücksicht, Hauptsache: Ich. Das vielgerühmte „Miteinander“ war an vielen Stellen nicht mehr als ein frommes Mantra. Wen wundert es: räumliche Distanz war das Gebot der Stunde. Dass Menschen, die Gott in den Alltagssorgen schon lange aus den Augen verloren haben, in der Tristesse des bloßen irdischen Seins versinken, mag nachvollziehbar sein. Dass wir, die uns im Vertrauen auf einen transzendenten und personalen Gott Christen nennen, dieser materiellen Sogkraft so wenig entgegenzusetzen haben an Hoffnung, Glaube und Liebe, macht nachdenklich. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Was Johannes wusste, beten wir seit Kindertagen rauf und runter. Allein: Es bleiben seelenlose Worte. Ohne Kraft dahergebrabbelt. Und damit ohne Wirksamkeit. Die Magie des Christentums: Eine romantische Zauerbershow mit caritativer Selbstvergewisserung.
Dabei haben längst Forscher gezeigt: bewusste und unbewusste Gedanken prägen unsere Wahrnehmung der Welt, werden zu Sprache und beeinflussen unsere Taten. Wir sind nicht bloßes Opfer einer übermächtigen Welt, sondern wir schöpfen mit. In jedem Augenblick. Uns selbst und andere. Unser Innerstes und unser Äußeres. Bewusst und unbewusst. Und am besten: mit Gott.
Am Anfang ist das bewusste Wort. Das weiß nicht nur die politische Autorin Nora Bossong, die ein Ende des Zeitalters der Bequemlichkeit kommen sieht. Sondern das wissen auch unserer Leserinnen und Leser, die wir nach ihrem Lieblingswort gefragt haben. Zeig mir dein Herzwort, und ich zeige dir dein Leben. Und wer nichts zu sagen hat, darf sich gerne auch in Schweigen hüllen, findet unser Essayist Albrecht von Croy.
Wir von theo lieben die schöne Schau. Weil wir aber auch wir an die ursprüngliche Macht des Wortes glauben, haben wir bei den Schwerpunktthemen auf das Bild verzichtet. Das Ergebnis: Eine besondere Ausgabe in besonderen Zeiten!
Genießen Sie die Lektüre, den Sommer und die neuen Freiheiten.
Ihre theo-Redaktion
Der Text ist abgedruckt in:
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theo. Das unabhängige katholische Magazin, 2020/03, S. 1.