Stephen Fry: Von Helden und Göttern
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Der britische Schriftsteller und Schauspieler Stephen Fry erzählt in zwei Büchern die Mythen um den griechischen Götterhimmel und seine Helden neu für unsere Zeit. theo-Autor Sven Schlebes fand großes Vergnügen an der Lektüre und macht sich eigene Gedanken über den Verlauf der Geschichte.
Es war ein verregneter Filmnachmittag. Auf dem Bildschirm: Die afrikanische Steppe. Im Hintergrund Kriegsgeheul. Ein Offizier betritt das Vordergrundplateau, nimmt den Tropenhelm vom Kopf und bittet seine Kameraden zum Five o’clock-Tea. East India. Finest blend. Die Kugeln sirrten weiter. Heldenzeit. Der Film war kurzweilig und bald vergessen. Doch das Gefühl dieser Szene sank tief in mein emotionales Gedächtnis: Ein Gefühl von Ordnung im Chaos, Würde im animalischen Schlachten, Extravaganz angesichts blutender Lebensnotwendigkeiten. Die verrückte Teeparty. Ein Heiligtum. Als jetzt am Silversterabend der Brexit vollzogen wurde, mischte sich in meine Tasse weißen Tees ein Spritzer frischer Zitrone. Manchmal merkt man erst, wenn etwas fehlt, was einem lange heilige Normalität war. Britain is out. And I am missing you so much. Especially your special kind of humor.
Meine Frau weiß: Du brauchst Helden – Gesellschaft
Welch‘ Segen, dass meine Frau weiß, was mir fehlt, und zu Weihnachten die Mythen und Helden der Griechen unter den Baum legte. Entstaubt und pikant erzählt vom britischen Allround-Entertainer Stephen Fry. Der mit der krummen Nase und der Fast-(Körper)-Größe von Monty-Phyton-Legende John Cleese. Gentlemen des gepflegten Irrsinns und genau des Grades an Ver-rücktseins, so dass sie die Schnellwege zwischen den Universen kennen und sowohl hüben wie drüben zuhause sind. Bei den alten Griechen wären sie als Hermes-Brüder verehrt worden. Götterboten. Und zugleich mit dem Schierlingsbecher bedroht gewesen wie Diogenes aus der Tonne: Wahrheitsnipper zwischen den Welten genießen weder hier noch da vollen Respekt, drohen sie doch die Achsen der Weltordnung zum Rotieren zu bringen. Und damit Königreiche zum Einsturz.
Willkommen, ihr Nymphen, Götter und chthonische Wesen
Da ich jedoch für mein Leben gern mit chontischen Wesen und bildhübschen Nymphen in der Corona-Tee-Tasse baden gehe, sind wütende Giganten, stetig widerstreitende Götter und fliegende Schweine in Pink gern gesehen Hausgäste.
Von Tartaros, dem Gott der Unterwelt aus der zweiten Göttergeneration, lasse ich mir gerade erzählen, wie wunderbar man sich per Pandemie-Büchse am strahlenden Himmelsgegenspieler Uranos rächen kann für die ständige Nichtbeachtung und Verdrängung. Hera, die Götter-Gattin des Zeus, führt mit Wonne die Schachzüge weiblicher Machtpolitik aus, und Helden wie Perseus entdecken in der Geschwisterschaft mit den Göttern köstliche Kraftmomente, um natürlichen Gesetzmäßigkeiten für uns Sterblichen zu entkommen und selbst ganzen Bataillonen von Monstern ihre schönen Schlangenköpfe abzuschlagen und damit dem Schicksal der Versteinerung zu entgehen.
Die Götter der Griechen: Viel Menschliches.
Der heilige Himmel der Griechen war ein Kosmos, der eng verwoben war mit dem Lebensbereich der Menschen: Ihre Wesen bevölkerten jeden Winkel des Universums, sie liebten und verrieten, schlachteten, betrogen, feierten und hurten. Noch intensiver, als wir Menschen es jemals tun können. Denn sie waren die Quelle, Inkarnation, Signum und Stellvertreter der Lust, des Frustes, des Hasses sowie des Friedens. Nicht ohne Grund nehmen immer noch Psychoanalytiker unserer Zeit Bezug auf das antike Dramenspiel, um innere Entwicklungsprozesse von menschlichem Geist und unserer Seele zu verstehen und zu erklären.
Und dann kam der Eine …
Die Götter und Helden waren so klar, so bunt, so unberechenbar und so graumsam-zivilisiert wie die Antike selbst. So vielfältig wie das Leben und so unterhaltend wie alle Vorabendserien der Welt zusammen. Prometheus, einer der Göttlichen, beschloss, den Menschen das Feuer der Inspiration und der Wärme zu bringen. Er leitete damit das Zeitalter der Menschen ein. Sie konnten fortan Geschichten, Maschinen und Dinge selbst in Gang bringen und sich damit von den großen Ursprünglichen emanzipieren. Genossen die Helden als Zwitterwesen noch die Kräfte beider Welten, leisteten sie mit ihrem Kampf gegen himmlische und unterirdische Monster der Superwesen-Entvölkerung der Erde Vorschub.
Als dann irgendwann die Anhänger eines bis dahin unbekannten Gottes eines kleinen Wüstenvolkes aus der arabischen Halbinsel mit ihrem Mensch gewordenen Gott dem Vielgötterversum den Gar aus machten, was es vorbei mit der Pracht des Gala-Universums der Heiligkeit. Ab sofort war Alles EINS und Gott Mensch. Hurra: Endlich Ordnung. Endlich der Himmel auf Erden. Doch der christliche Gott ging genauso schnell wieder, wie er gekommen war, und hinterließ seinen Jüngern ein Buch: die Bibel. Neue alte Geschichten. Wir Christen sagen: Das Wort Gottes. Manche halten es für informativ. Manche für einen versteckten Lebenscode. Es ist Gesetz, Richtschnur, Prophetie. Andere sollen sogar die Schönheit der Sprache und den Humor lieben, der zwischen den Zeilen durchschimmert.
Als ich in den Sommerferien meiner Schulzeit die Bibel einmal durchlas, wurde ich müde. Ein Vergnügen war es nicht. Ich habe mir später sagen lassen, man müsse sich die Zeilen erklären lassen, am besten der Bibel ein ganzes Studium widmen. Die Weissagungen durchkauen. Sich an ihnen abarbeiten, sich von ihnen durchwalken lassen. Und das sei kein Spaß. Sondern heiliger Ernst.
Die Bibel: Viele Helden, ein Gott, viel Mühsal
Nun heiße ich Sven. Mit Jesus versuche ich seit langem, Freundschaft aufzubauen. Aber es gelingt mir nicht, eine wirkliche Nähe zu ihm aufzubauen. Zwischen ihm und mir. Da stehen alle Priester und Wortvermittler, die wissen, was richtig und falsch ist. Eine Kirche, die aus einer nicht schriftgemäßen Aneignung der Bibelgeschichten einen heiligen Krieg vom Zaun bricht. Und Geschichten, die Gottes Wort sein sollen, aber so dermaßen eine unterhaltende Brillanz vermissen lassen, dass der geneigte Leser sich zu der Schlussfolgerung genötigt fühlen muss, dass der heilige Geist schon mal kein Liebesverhältnis mit den Musen der antiken Götter gehabt haben kann und daher als Quelle von Allem, was ist, ausscheiden muss.
Der Tod tut dem Heiligen gut
Nun weiß ich nicht, wie es war, als Zeus noch lebendig heilig war und man ein Sakrileg beging. Drakonische Strafen waren höchst wahrscheinlich auch hier als Reaktion einprogrammiert. Aber dann muss ich sagen: Der Tod tut dem Heiligen gut. Erst wenn es nicht mehr als Hochzeitspartner für irdische Macht und deren Systeme taugt, scheint seine strahlende Wiedergeburt in schillernden Erzählungen eine heitere und unterhaltende Kraft zu entfalten. Seine Wirksamkeit ist zwischen zwei Buchdeckeln gefangen und ich als Leser kann entscheiden, ob ich Mariengleich seinen Geist in mir aufnehmen und auf die Welt bringen kann.
Dass Zeus Zeitalter vorbei ist. Darüber bin ich mehr als froh. Vielleicht müsste man das Zeitalter des schlechten Christentums auch für beendet erklären und seine Geschichte neu schreiben. Farbenfroh. Voller Humor. Sehr menschlich und doch auf das Mögliche verweisend. Halt eine echt geile Geschichte.
Lassen wir in der Zwischenzeit die neuen Viren-Mutanten über den Erdball toben. Solange ich um fünf Uhr meinen virtuellen Kampfhelm vom Kopf nehmen darf und mit Geistern wir Stephen Fry und seinen pinken Fliegschweinen eine Tasse Tee genießen darf, ist das Leben eine Party.
So viel Freiheit und Zeit muss sein.
Autorenwebseite: https://www.stephenfry.com
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theo. Das unabhängige katholische Magazin, 2020/01, S. 54f.