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Mann-o-Mann.

Für Männer gibt es keine identitätsstiftenden Rollen mehr: Der Charmeur, der Held, der Ritter, der Softi, der Macho, der Macher. All diese Mannsbilder wurden von den nach vorn stürzenden Frauen zermalmt. theo-Autor Sven Schlebes gibt nicht auf und entdeckt einen neuen Typus Mann am Horizont.

Als die Blätter in diesem Jahr fielen, trafen sich aus unserer Grundschule einige Familien, um den Kindern für die erneute Lockdown-Zeit ein Geschenk zu machen: Ein neues Holzhaus im Garten zum Spielen, Verstecken und Herumklettern. Frohen Mutes entpackten wir Männer die Palette und sortieren die Einzelteile vor. Dann kamen unsere Frauen, nahmen Zollstock, Akkuschrauber und die Bauanleitung und übernahmen das Regiment: „Lasst mal schauen. So wird das gemacht.“ Einige Minuten schauten wir Männer uns das Spiel an. Dann winkten wir ab, zwei von uns gingen Grillfleisch holen, die anderen sprachen über den schlechten Hertha-Fussball-Saisonstart. Für das Spielhaus wurden wir nur noch geholt, um die schweren Seitenplatten mit anzuheben. Alles andere machten die Frauen lieber alleine.

Frauen empfinden den Mann als Belastung

Die Influencerin Isabell Gerstenberger stellte ihren Followern in diesem Corona-Jahr die Frage, was man an einem Tag unternähme, wenn das jeweils andere Geschlecht nicht auf der Welt wäre. Das Ergebnis: Männer langweilten sich, Frauen feierten: keine Bedrohung auf der Straße und im Job, kein Belastung zu Hause und in der Partnerschaft. Das ist ein herber Schlag für ein Geschlecht, das sich ganz im Sean Connery- James Bond – Style auf der Seite der sicheren Bewunderung durch das andere Geschlecht wähnte. Wer, ausser meiner Gesprächstherapeutin, die den Doppel-Null-Agenten schon immer als Chauvie zum „Erbrechen“ fand – hätte nicht gerne so einen smarten Superhero an seiner Seite?

Das Zeitalter des Mannes: Vorbei.

Zumindest in unseren Kulturkreisen sind die Tage vorbei, an denen Männer von einer asynchronen Abhängigkeitspyradmide der Geschlechter profitierten. Geld verdienen, Karriere machen und glücklich werden können Frauen heute alleine. Wenn sie gelassen werden, sie sich trauen und systemisch die Möglichkeit für gewollte und gelebte Vielfältigkeit gegeben ist. Dass die Realität in Unternehmen, Organisationen und Familien in einem mittlerweile kulturell sehr heterogenen Deutschland sich immer noch sehr durchwachsen anfühlt, ist Legion. Aber wenn Frau will, kann sie alles. Sogar Kinder kriegen ohne Penetration.

Der gesellschaftlich relevante Diskurs trägt ein Frauengesicht

Das setzt uns Männern zu, die wir für die Botschaften des anderen Geschlechts sehr empfänglich sind. Glaubt man dem Aktivisten JJ Bola, ist „Männlichkeit“ als Identifkations- und Lebensmodell ein Albtraum für moderne Jungs geworden: Die Alten schweigen und machen, was sie wollen. Die Sandwitcher in den 40ern kämpfen und schwimmen um ihr Leben. Und die Jungen tauchen ab in ihre realen und digitalen Parallelwelten mit neuen und alten Identifikationsmustern: Bling, bling, bang, bang, bumm, bumm. In nahezu allen sozial relevanten Diskursen, von Ökologie über Sexualität bis hin zur Ökonomie überlassen Jungs den Mädchen das intellektuelle Hoheitsgebiet. Auch wenn die Pandemie im Fernsehen wieder ein männliches Expertengesicht zu tragen scheint – die Drostemaske. Kommen Menschen heute zur Sprache, sind sie vor allem jung, weiblich, schlagfertig und facettenreich.

Die Männer und ihre stereotypen Identifikationsfiguren

Während ein Teil der Männer sich wie die gescheiterten Jedis Yoda und Luke in den Star Wars – Serien halb schuldbewusst in die innere Verbannung zurückgezogen hat um sich, je nach subkultureller Blase, neu zu orientieren, wählen die anderen den Frontalangriff und zelebrieren das konservative Rettertum zum Wohle einer hilflos den Modernisierungsströmen ausgelieferten Schäfchenherde: „Make alles great again.“ Oder: „Kopf ab im Namen des großen Gottes.“ Ein Dazwischen gibt es kaum.

Rückzug in die narrative Stille

Vergessen sind die Schlachten der Männerbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Früher suchten hier Therapeuten und Coaches noch nach Initiationsriten, um die fünf bitteren Wahrheiten männlichen Lebens zu akzeptieren und fruchtbar integrieren (Richard Rohr: 1. Das Leben ist hart; 2. Du bist nicht so wichtig; 3. In deinem Leben geht es nicht um dich; 4. Du hast nicht die Kontrolle; 5. Du wirst sterben.). Mittlerweile haben viele Männer sich aus dem „Richtig-Falsch“-Spiel narrativer Art ausgeklingt und lassen die vielen Sondergruppen in und aus ihren Safe Rooms heraus philosophieren. Die oft eingeklagte „innere Reise“, die bei uns Männern nie stattgefunden habe, weil sich das Leben ständig im Außen und Erfolg abgespielt habe, findet im Verborgenen statt. Oder gar nicht. Entdecken, ohne direkt wieder kritisiert und zusammengeschossen zu werden. Wer will es uns Männern verübeln? Zu gewinnen gibt es gerade nicht viel für uns.

Die Welt ist im Umbruch. Jeder weiß nichts, oder weiß es besser! „Aha – müssen es wieder die Trümmerfrauen richten“, unken die einen. „Erst den Laden an die Wand fahren und dann uns Frauen das Aufräumen überlassen.“ Andere beschwören angesichts scheinbar männlicher Technikversessenheit den Untergang einer menschlichen Welt unter den Vorzeichen künstlicher Superintelligenzpower. Kann man so sehen. Muss man aber nicht.

Der neue Mann beginnt in mir selbst

Jahrelang war ich selbst einer der größten Männerbasher. Der Applaus von Frauen und anderen suchenden Männern war mir gewiss. Aber die real erlebten Rollenmodelle leider auch viel zu schlecht, um auch nur ansatzweise als Basis für einen gelingenden Lebensentwurf im 21. Jahrhundert herangezogen zu werden. Mit dem Mann-sein verhält es sich ähnlich wie mit dem religiös oder konservativ sein. Ohne diese Adjektive geht es leichter in die Zukunft. Auch wenn der Preis erst ein unbeschriebenes Neuland ist: „Und du, wer bist du eigentlich?“

Ich glaube, ich musste älter werden, um Männer und ihre Gesellschaft zu schätzen. Als ich während des letzten Seeurlaubes mit meinem Vater und meinem Sohn der aufkommenden Flut zuschaute, schwiegen wir drei fröhlich in den diesigen Herbstnachmittag. Früher hätte ich die Stille als Bedrohung wahrgenommen, den Freiraum als atemluftraubendes Vakuum. Heute bin ich froh über jede Minute, die nicht erfüllt ist vom Dauergequatsche mit Unzufriedenheitsgemecker (so berechtigt das auch immer sein mag), der ungetrübten Freude an gutem Essen (ob Angusrind oder Vegangburger) und dem romantisch verklärten Blick in eine Welt, die wissenschaftlich gesehen angeblich dem Untergang geweiht ist: „Papa, kann es sein, dass die Steine dort vorn nicht doch alte Wikingerstraßen zum untergegangenen Städten sind? Orte voller Krieger, Schiffe und Gold?“

Als Übungsleiter einer Fussball-Mädchen-Mannschaft weiß ich: Stereotype Lebenswelten aufzubrechen ist nicht leicht. Aber als Vater eines weißen Sohnes weiß ich auch: „Normal Null“ fällt durchs Raster. Vielleicht ist das die Rache, dass der Mann sich lange als Standard definiert hat. Das Pendel schlägt zurück.

Endlich: Frieden

An diesem Seetag fühlte ich mich persönlich angekommen zwischen Vater und Sohn. Ein Gefühl des Friedens. Ich ahne, dass die Welt nicht mehr so ist, wie sie war. Aber das war sie ja noch nie. Als Urlaubslektüre hatte ich mir das Märchen „Eisenhans“ mitgenommen. Für Entwicklungspsychologen die Mastergeschichte der „Mann-Werdung“. Zum Menschen werden, das obliegt dem Königssohn selbst. Der Schlüssel zur Kraft, so die jungsche Deutung, liegt jedoch, oh Wunder, bei der eigenen Mutter. Unsere Frauen haben an diesem Seetag den Gang zum Strandcafé gewählt. Sie fürchten die Gewalt des Meeres, lieben jedoch die Freiheit am Strand, mit der der blanke Hans Sorgen, Viren und Drachen in den Himmel fegt. Manchmal trinken sie einen Gespritzten.

Der Weg hierhin war lang. Schon viele Stürme fegten über die See. Ihn gemeinsam zu gehen, das ist unser größtes Ziel. Männerarbeit, das habe ich mittlerweile verstanden, ist vor allem Friedensarbeit. Für sich. Für andere.

Und wenn Frauen die Bauanleitung in die Hand nehmen: Auch gut.

Wir machen es uns derweil dann am Grill gemütlich.
Irgendwann wird es schon klappen mit dem Gemeinsam statt einsam.

Darauf eine Wurst.

Dieser Text ist abgedruckt in theo. Das unabhängige katholische Magazin. Ausgabe 05/2020, S. 36 – 38.