Die Lust am Lesen. Oder: Das erotische Quartett!
Sex ist ewig, wie Gott selbst. Und Sex ist das Lieblingsthema der Männer. Unzählige Spielarten schillern durch Jahrhunderte und Kulturen: Mal reine Reproduktion, mal höchste Kunst. Angetrieben von einer zart erwachenden, wild pochenden oder ruhig ausklingenden Lust pflügt er durch das menschliche Leben und paart sich mit hungrigen Gefährten: Mit Macht, Ansehen, Geld, Genuss. Sex gut zu leben ist Kunst. Ihn in gute Geschichten zu verwandeln höchste Kunst. Sven Schlebes hat sie ausgegraben, die Wortverführer, die erotischen Literaten und stellt vier von ihnen vor.

Henry Miller (1891 – 1980)
Der Alles-Esser
Ein Altmeister der Liebes- und Schreibkunst. Lange Zeit geschmäht: Zu obsessiv seine Gedanken. Zu drastisch seine Sprache. Zu entblößend seine Geschichte. Der deutschstämmige Amerikaner verliebte sich in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in das Europa des Weltkriegsübergangs und eine Boheme, die das Leben spüren wollte. Er ehelichte fünf Frauen, den wichtigsten Einfluss hatte die Schriftstellerin Anaïs Nin: Emotional, mental, sexuell. Millers Sprache ist einfach und ehrlich. Er verführt, indem er mit seinen Charakteren lebt. Wie sein Erzähler Joey in Stille Tage in Clichy genießt Miller das Leben in allen Höhen und Tiefen. Er nimmt, was es gibt. Sei es Hummer oder verschimmelte Brotkrumen. Und weil er sich selbst liebt, liebt er auch die anderen und seine Charaktere. Das Leben mag augenscheinlich ungerecht sein und hart. Die Würde bleibt.
Henry Miller
Stille Tage in Clichy
Rowohlt Reinbek bei Hamburg, 25. Auflage 2018.

Haruki Murakami (1949)
Der Etwas-Esser
Der einflussreichste Gegenwartsschriftsteller Japans ist noch nicht gegangen: Weder ins Transzendente, wie seine Romanfiguren, noch in die Annalen der literarischen Geschichtsbücher. Literaturkritiker tun sich schwer mit der Qualität seiner Bücher: Belangloses Gefasel oder schöngeistiges Destillat für Geniesser? Symbolisch für seine reduzierte Erotik liebt Shimamoto, die fleischgewordene Verheißung in seinem erotischen Roman Südlich der Grenze, westlich der Sonne mehr den Cocktail Daiquiri als das männliche Gegenüber. Gekonnt angerührt sollte er sein, eine köstliche Basis für die Begegnung mit süßen Früchten jeglicher Art. Wer den reinen Sexualakt sucht in seiner Wildheit und Offenbarung, der ist bei Murakami fehl am Platze. Den Hunger seiner Protagonisten stillt das unaussprechliche „Etwas“. Mehr Verheißung, weniger irdische Erfüllung. Für Murakimi verfällt das Fleisch: Es ist das vergeistige Wesen der Menschen, das Liebe macht und die Haltung, mit der die Essenz sich in die Welt hinein verhüllt. Murakami verführt, wie sein Großvater lebte: mit buddhistischer Heiterkeit und innerer Ergebenheit. Das nackte Fleisch gibt es, wenn der Hunger ruft. Und das passiert nur ganz selten im Buch. Für die dauerhafte Sehnsucht ist die Anmut da. Der Sprache, der Menschen, der Natur. Fast perfekt und genau richtig für den ultimativen Liebesakt.
Haruki Murakami
Südlich der Grenze, westlich der Sonne
btb Verlag. 4. Auflage 2015.

Matias Faldbakken (1973)
Der Bambi-Fresser
Faldbakken war Pop, als er mit The Cocka Hola Company den ersten Teil seiner Trilogie um die Jahrtausendwende ablieferte. Noch misanthropischer als seine deutschen Kollegen. Noch szeneastischer. Die Sprache des Norwegers: Regieanweisungen in Bold. Fast wie Schlingensief. Doch dem fehlte vor 20 Jahren das Interesse an der Erlösung des Gegenübers. Faldbakken stopft Löcher jeglicher Größe und Art. Und reißt sie wieder auf. Vor allem den Abgrund kultureller Verlogenheit unserer spätmodernen Gesellschaft. Sex ist hier hart, ein medialer Akt der Selbstvergewisserung, Inszenierung und des Geldverdienens. Keine Zeit für Gefühlsduselei. Ein Statement. Doch je lauter das Stöhnen, um so schreiender die stille Sehnsucht zwischen den Zeilen nach dem Bambi im Weichpelz, das dem pornografischen Auge des Jägers im Nebel des Polarkreises entflieht und Wunderdinge tut.
Matias Faldbakken
The Cocka Hola Company
Heyne Hardcore. 10. Auflage.
München 2018.

Gustaaf Peek (1975)
Der Tod-Esser
„Habt keine Angst“, ruft Peek seinen Lesern zu. „Sex vertreibt den Tod.“ Die kopulationsfreie Zeit nach dem Akt nennt der gebürtige Niederländer Leben. Und das mögen die Protagonisten Tessa und Marius in seinem Erotikroman Göttin und Held nicht so wirklich. Das Paar kennt sich seit der Schulzeit. Erstes Petting, dann mutiger, wilder Ritt. Das Buch beginnt mit dem Ende: Tessa nimmt sich selbst das Leben und wird im Krematorium verbrannt. Und es beginnt mit ihren ersten Frühlingsgefühlen als Kind. Das Buch: 50 Kapitel auf den Kopf gestelltes Drama zweier Menschen, die für den Alltag das Gewöhnliche einer Ehe mit anderen Normalos wählten und für die lebenslang anhaltende Lust das Hotelzimmer mit dem Dauergeliebten. Für Peek und seine Protagonisten ist Sex wie Weihnachten. Eine Orgie der Sinne. Doch zu schwach für das Überleben im Alltag. Manche mögen das ein Leben für die Leidenschaft nennen. „Betörend und intensiv.“ Peek selbst weiß, dass das Streben endlich ist und vergebens. Nach dem Sturm der Lust mag zwar Gott erscheinen im „kleinen Tod des Orgasmus“. Doch selbst für eine Göttin und ihr Held wartet danach der spröde Staub der Normalität. Sex als Ausflucht. Gekonnt, aber endlich. Und damit: Sehr menschlich.
Gustaaf Peek
Göttin und Held
DVA. München 2016.