Alles wird gut
Wirklich? Besonders in Krisenzeiten sprechen wir Menschen uns Mut zu mit diesem Satz. Ist sie gut oder weniger gut diese Phrase? Pro und Contra – zwei theo-Autoren sind unterschiedlicher Auffassung.
[….]
Alles wird gut. Ein Versprechen, das Möglichkeiten eröffnet.
Mittwochabend vor Christi Himmelfahrt. Ein langes Wochenende steht bevor. Sonne ist angesagt. Noch laufen unsere Arbeitsprojekte und damit das Geld. Für die Kinder haben Schule und Kita wieder begonnen. Durchatmen. Die Kurve, zumindest die der Ansteckung, ist abgeflacht. „Siehste. Alles ist doch noch alles gut geworden. Und dabei waren die Sorgen doch so groß. Vor Monaten.“ Ich hebe die Bierflasche.
Auf einmal ein Brief
Dann kommt eine Mail. Belgischer Absender. Eine Anwältin. Ein Abmahnschreiben wegen eines Bildes, das ich zur Textbebilderung genutzt habe. Open Source – meine Meinung. Urheberrechtsverletzung – ihre Meinung. Vorbei mit „gut geworden“ Jetzt ist alles wieder schlecht. Ich senke die Bierflasche. Ich merke, wie dunkel es inzwischen geworden ist. Sonnenuntergang verpasst.
Ängste: Ein starker Gegner
Ängste werfen Schatten. Manchmal große. Manchmal kleine. Ich reibe mir meinen Hintern. Unser Sofa, doch schon ganz schön durchgesessen. Zwischen „gut“ und „schlecht“ liegt manchmal nur eine Sekunde. Ein schwarzer Abgrund.„Alles“ und „Nichts“. Totalitäten, die von unserer persönlichen Wahrnehmung abhängig sind und damit eingeschränkt wahr. Wie wir selbst. Das echte „Alles“ ist oft größer als „unser Alles“. Und das echte Nichts eigentlich viel kleiner, als unsere gefühlte Wahrnehmung. Weil eben nicht Alles oder Nichts gut oder schlecht sind. Sondern eben nur kleines bisschen etwas. Entscheidend für unsere Alltagsdeutung ist oft ein Erlebnis: Es krallt sich am Nasenrücken fest und bestimmt die Perspektive auf das, was ist.
Es ist, was ist
„Es ist, was ist“, beteuern wir uns oft gegenseitig. Und: „Ist doch alles noch gut geworden.“ Ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, was das denn ist, was ist. In seiner Tiefe. Komplexität. Seiner Widersprüchlichkeit und Dynamik. Vielleicht sind moralische Bewertungen für die großen Fragen des Lebens, des Daseins, den Urgrund, zu klein. Nicht zielführend, weil für uns Menschen die Gewissheit über das Bezugssystem hinter dem, was ist, in letzter Konsequenz fehlt. Die Transzendenz: Eine Mutmaßung. Gut und schlecht bleiben damit als Bewertungskriterien an mir selbst hängen. Das ist gut. Und das ist schlecht. Denn aus der Nummer komme ich nicht heraus.Anselm Grün schreibt, dass das vermeintliche Schlechte, was uns widerfährt, angesichts dereigenen Sterblichkeit klein wird und sich manchmal in Luft auflöst. Mit dem Guten verhält es sich damit ebenso. Angesichts des Todes ist alles nichts. Im Leben ist Kleines oft Alles. Die Abmahnmail brennt auf meinem Monitor.
Ein gutes Ende
Meine Kinder stöhnen im Schlaf. Meine Frau atmet aus. Im Fernsehen läuft ein alter Bollywood-Schinken: Om Shanti Om. Die Geschichte eines Schauspielers, der mit ansehen muss, wie seine große Liebe umgebracht wird und ihren Mörder in einem zweiten Leben nach erfolgter Wiedergeburt rächt. Karma nennen das die Hinduisten. Ein Gefühl von Gerechtigkeit und innerer Freude: Jeder bekommt, was er verdient. Spirituelle Buchhaltung: Himmel und Hölle. Das kennen wir auch. Der Film schließt mit einem Abschlusssatz: „Wenn eine Geschichte kein gutes Ende hat, dann ist es nicht das Ende.“ Oder anders ausgedrückt: Alles wird gut. Wieder einmal. Wenn nicht jetzt, dann irgendwann.Das gefällt mir. Wenn ich es aktuell nicht schaffe, meiner Gegenwart auch nur einen Milligramm Gutheit abzugewinnen, dann kann es mir in Zukunft gelingen. Sei es, dass sich die Umstände verändern. Oder meine Einstellung.
Ein Kalenderspruch?
Alles wird gut: Das klingt wie ein Kalender- oder Postkartenspruch. Vielleicht haben ihn mir meine Eltern abends nach einem für mich traurigen Tag ins Ohr geflüstert. Vielleicht war es auch die Gruppenleiterin im Kindergottesdienst: „Jesus ist für dich gestorben. Du hast nichts mehr zu befürchten.“ Die Sache ist bereits geklärt, auch wenn du es selbst noch nicht wahrnehmen kannst oder willst. Einfach: Loslassen und abgeben. Würden Lebensberater jetzt sagen. Durchatmen.Als Kind hat das wunderbar funktioniert. Mein Vater pflegte immer zu sagen: „So lange das alles mit Geld zu bezahlen ist, ist es halb so schlimm. Das lässt sich regeln.“ Er wusste: Wenn es um Körper, Krankheit und Zwischenmenschliches ging, war das mit dem Kitten nicht mehr so leicht. Vor allem nicht für Eltern.
Ich bin jetzt selbst Vater
Jetzt bin ich selbst Vater und ahne, was er meinte, mit dem Geld und anderen Dingen. Dass alles gut wird, dafür sind schon lange nicht mehr meine Eltern zuständig. Vielmehr ist es meine eigene Aufgabe, das für mich selbst in die Hand zu nehmen. Oder für meine Familie. Besonders für meine eigenen Kinder.
Alles wird gut: Es ist das Zukünftige in dem Versprechen, das mich von der Last des Augenblicks befreit und Möglichkeiten eröffnet. Neue Hoffnung keimt auf. Sei die Dunkelheit auch noch so groß. Ich selbst kann etwas tun, andere können etwas tun. Gott kann etwas tun. Und wenn es auch nur das Akzeptieren ist. Dass es ist, wie es gerade ist. Ich muss es nicht mögen. Ich kann daran leiden. Schreien. Verzweifeln. Aber es ist nicht das Ende. Also absolut gesehen. Danach kommt immer irgendwas. Abmahnung hin. Und: Es ist nicht alles. Was nicht gut ist, ist ein Teil von Vielem, das besser ist. Dafür muss ich noch nicht mal an Gott, Jesus Christus und das Heilsversprechen glauben. Die gefühlten „kleinen Enden“ gehen auf in einem großen Ende. Wann auch immer das kommen mag. Und angesichts der Endlosigkeit steht dann ein neuer Anfang vor der Tür.
Das ist kein Glaube. Das ist Gewissheit. Alles wird gut – und dafür kann ich etwas tun. Alles: Außer verzweifeln. Ich bin kein Opfer. Ich bin nicht allein. Sondern mächtig. Mit allem, was da ist. Real und Transzendent. Und das. Das ist doch gut so, oder?
Dann komme, was wolle.
(Nachtrag: Die Abmahnung konnte nicht aufrecht erhalten werden und wurde 2020 eingestellt.)
Der Text ist abgedruckt in:
theo. Das unabhängige katholische Magazin, 03/2020, S. 12f.
http://www.theo-magazin.de