NACHGEFRAGT: Sechs Frauen und ein Wille. Die Macherinnen des Wettbewerbs Startsocial
Auch Helfer brauchen Hilfe. Seit über 15 Jahren versorgt der Wettbewerb startsocial Ehrenamtsinitiativen und Vereine mit Wissen und Know-how aus Wissenschaft und Wirtschaft und kürt jährlich die inspirierendsten Ideen. Theo-Redakteur Sven Schlebes sprach mit dem geschäftsführenden Vorstand des Wettbewerbs, Frau Dr. Sunniva Engelbrecht, über das Gute in der Welt, die Herausforderungen der letzten Jahre und über den Sinn und Unsinn von ehrenamtlichen Engagement.
In der „Ehrenamtsszene“ ist der Wettbewerb startsocial längst eine feste Größe für die Unterstützung von ehrenamtlichem Engagement. Vielen Nicht-Ehrenamtlern ist diese außergewöhnliche Initiative eher unbekannt. Auf den Punkt gebracht: Was ist startsocial und wer arbeitet bei und für startsocial?
Am Anfang stand die Idee, Wissen und Know-how aus der Wirtschaft sozialen Initiativen zugänglich zu machen, um ehrenamtliches Engagement zu fördern. Unser Motto „Hilfe für Helfer“ ist so zu verstehen, dass wir Menschen unterstützen, die bereits engagiert sind oder eine Idee für ein Engagement haben. Um ihr Engagement noch nachhaltiger zu gestalten, bekommen alle Bewerber Jurorenfeedbacks, und 100 Projekte erhalten jedes Jahr ein viermonatiges Beratungsstipendium. Die besten 25 kommen zur Preisverleihung ins Kanzleramt. Wer Glück hat, bekommt einen Geldpreis. Und bisher gab es in jedem Jahr auch den Sonderpreis der Bundeskanzlerin.
Und das funktioniert?
Und wie. Jedes Jahr engagieren sich rund 500 Unterstützer aus der Wirtschaft. Von Großunternehmen bis Einzelunternehmern sind alle vertreten. Ein echter Querschnitt unserer Bevölkerung. Vor allem aber sind es Menschen, die Zeit, Expertise und Lust haben, anderen etwas weiterzugeben. Dabei ist uns die Begegnung auf Augenhöhe besonders wichtig. Denn nur so können alle Seiten davon profitieren: Die Projekte, die Coaches und auch wir als Wettbewerb.
startsocial an sich ist ein Verein. So richtig mit einer Mitgliederversammlung, einem Aufsichtsrat und einem Beirat. Ganz banal. Schön langweilig und bieder. Aber im Kern sind wir ein 6-Frauen-Team. Haben Sie uns schon mal live erlebt? Geballte Power halt.
Das kann ich mir vorstellen. Aber Sie stehen ja nicht allein auf weiter Flur. Nach fast 20 Jahren greifen Sie auf ein breites Unterstützernetzwerk zurück. Darunter auch Unternehmen wie McKinsey und die Deutsche Bank. Sind diese Unterstützer in der Szene nicht selbst eher umstritten?
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Dass diese Unternehmen ihre Unterstützung für den Wettbewerb mit der Hoffnung verbinden, ihre „Marke“ aufzuladen und zu positionieren. Zum Glück spielt das bei den Stipendiatinnen und Stipendiaten keine Rolle. Sie sind froh, wenn sie wirklich gutes Know-how in der Beratungsphase an die Hand bekommen, um etwas zu erreichen. Ich habe noch niemanden getroffen, der mit seinen Coaches gefremdelt hat, weil die bei bestimmten Unternehmen arbeiten. Ganz im Gegenteil. Oft bilden sich Freundschaften, die über die Wettbewerbsphase hinausgehen. Bei uns im Wettbewerb treffen sich Menschen. Und das ist uns ganz wichtig. Keine „Corporate Social Responsibility“-Agenten.
Im Jahr 2001 ging für viele Menschen aus unserem Kulturkreis die Unbeschwertheit der 90er Jahre und die Aufbruchstimmung endgültig zu Ende. Die gefühlt nie endenden Jahre der Dauerkrisen schickten sich an, unser Lebensselbstverständnis, unsere Sicherheit, unsere kulturelle Geschichte zu erschüttern. 2001 startete aber zeitgleich auch der Wettbewerb startsocial. Ein „Counter-Narrativ“ / eine Gegengeschichte?
Sehen Sie das so negativ? Sicher ist viel passiert. Aber schauen Sie mal, wie lebendig unsere Zivilgesellschaft ist. Es gibt so viele engagierte Menschen in diesem Land, die sich mit Freude und Herzblut einer Sache widmen. Dieses Engagement zu unterstützen, ist jedes Jahr aufs Neue eine wunderbare Aufgabe. Da kann doch kommen, was will. Finanzkrise, Klimakrise, Flüchtlingskrise, Technikkrise, Glaubenskrise, Europakrise. Ich empfehle, unserem so geliebten Alarmismus nicht aufzusitzen, sondern den Menschen zu vertrauen. Schließlich sitzen Sie und ich doch hier und haben die Möglichkeit, über diese Herausforderungen und mögliche Lösungen zu sprechen. Ja, wir gehören sicherlich zu dieser oft gescholtenen „Elite“. Aber dann lassen Sie uns doch dieser Verantwortung gerecht werden und etwas tun. Machen, nicht quatschen.
Das tun zum Glück ja auch viele. Ob Elite oder nicht. Als die neuen Ehrenamtlichen-Zahlen veröffentlicht (Deutscher Freiwilligensurvey 2018, DZA) wurden, musste ich trotzdem dreimal hinschauen. Nicht die Menschen im Ruhestand sind anscheinend zahlenmäßig die engagiertesten, sondern diejenigen, die sich in der Rush-Hour des Lebens befinden. Wie kommt denn das?
Das hat mich auch verwundert. Aber ich glaube, die Menschen, die in den Ruhestand wechseln, wollen zum ersten Mal im Leben vorrangig etwas für sich tun. Vielen geht es gesundheitlich nicht so gut, manche müssen ihre Rentenbezüge aufbessern. Es ist ja nicht der goldene Herbst, der da wartet. Das ist ein Werbemythos. Also: Wer will ihnen den Rückzug verübeln? Aber es wäre natürlich schön, wenn das „WIR“ nicht so ganz aus den Augen gerät. Wir sind jedes Jahr aufs Neue überrascht, wie viele schöne Initiativen von sogenannten Ruheständlern gegründet werden. Vor allem der Einsatz für andere ältere Menschen steht oft im Vordergrund. Nachbarschaftshilfe. Mit ganz einfachen Mitteln. Stricken zum Beispiel oder Backen. Ohne großen Schnickschnack. Hier werden Gesprächs- und Begegnungsbänder aufrechterhalten. Echt und ehrlich. Da können Sie die Unterhaltungsshows in den Medien einpacken. Das lässt sich alles nicht mit Geld bezahlen. Leider stehen solche Initiativen nicht immer auf dem Siegertreppchen. Aber ich lade Sie ein, einmal während unseres Stipendiatentages durch die Ausstellung der Initiativen zu wandern. Von der Frühchenhilfe über Lernpatenschaftsmodelle bis hin Kuchentreff ist alles dabei. Ach, ich gerate ins Schwärmen….
Schwärmen Sie ruhig weiter. Menschen mit Leidenschaft und Überzeugungen zu treffen ist eine echte Inspiration. Wobei das „gute Tun“ heutzutage oft auch ein echtes Business geworden ist. Wenig Sozialromantik, viel Professionalität.
Es gibt immer wieder Initiativen, die zu einem sogenannten Social Business werden. Aus Ehrenamtlichen werden Festangestellte, aber nur selten können diese Organisationen ganz ohne ehrenamtliches Engagement auskommen. Aber wenn Sie nach dem Grad der Professionalität fragen: Es gibt sehr viele soziale Initiativen, die extrem professionell aufgestellt sind, obwohl (oder vielleicht gerade weil) sie von Ehrenamtlichen getragen werden. Mit allem Wohl und Weh. Natürlich gibt es auch in dem sogenannten „Sozialsektor“ schwarze und graue Schafe. Aber grundsätzlich ist diese Entwicklung der Professionalisierung doch toll.
18 Jahre sind eine lange Zeit. Was hat sich in der Zeit im gesellschaftlichen Engagement verändert?
Derzeit wird vielfach die neue Generation von Freiwilligen beschrieben, die sich vermeintlich stark von älteren Generationen von Ehrenamtlichen unterscheidet. Sicher. Die Medien und Organisationstechniken haben sich geändert. Aber nach dem „Warum“, dem „Why“ der Generation Y haben doch viele vor denen gefragt, oder nicht? Sinnerfülltes Leben war schon immer ein großes Thema. Wollen Sie uns das absprechen? Vielleicht wird heute darüber mehr gesprochen. Wer sich engagiert, der tut das häufig mit Haut und Haaren und in der direkten Auseinandersetzung mit seiner Nächsten/seinem Nächsten. Ich glaube auch, dass wir heute in sehr viel mehr Lebensbereichen auf das Engagement unseres Nächsten angewiesen sind. Das fängt mit der Kinderbetreuung an und hört mit der Pflege von älteren Menschen auf. Mittedrin finden wir seit ein paar Jahren das beeindruckende Engagement für Menschen, die in unserem Land Heimat suchen, weil sie in ihrem Herkunftsland nicht mehr leben konnten.
Manche Dinge bleiben aber. Vor allem die menschlichen. Im Positiven wie im Negativen. Wir hatten zum Beispiel mal einen Preisträger, der im Jahr nach seiner Auszeichnung vom Sektor gemieden worden ist. Neid spielte da eine große Rolle. Verrückt, oder?
Mitten im Leben halt. Wenn man sich anschaut, mit welchen Denkanstößen und Werkzeugen die Ehrenamtlichen bei Ihnen in Kontakt kommen, wird einem manchmal schwindelig. Auf der einen Seite ist es toll, so viel Wissen mitzubekommen. Ist das nicht für manche, die ehrenamtlich arbeiten wollen, zu viel? Macht zu viel Professionalismus das Ehrenamt kaputt?
Wir bzw. die Coaches machen ein Angebot, das sehr unterschiedlich genutzt wird. Die vier Monate Beratungszeit sind sicher eine herausfordernde Zeit für alle Beteiligten, weil in einem relativ kurzen Intervall viel angestoßen und bewegt wird. Wir hören aber von vielen Stipendiaten, dass diese Zeit noch lange nachwirkt und sowohl die Jurorenfeedbacks als auch die konkrete Arbeit mit den Coaches wertvolle Prozesse und Veränderungen anstoßen. Wichtig ist und bleibt, dass der innere Antrieb stimmt und bleibt. Die organisatorische Technik ist, wie die maschinelle ebenfalls, einfach nur ein Instrument. Ein kraftvolles noch dazu. Warum sollte man das den Unternehmen vorbehalten? Haben wir doch den Mut zur Großartigkeit und zur Wirksamkeit. Die Menschen haben es verdient. Wissen Sie, was wirklich traurig ist? Wenn Sachen, die gut sind, nicht wirklich zur Entfaltung gelangen. Das ist traurig.
Vor allem die Technik hat die letzten Jahre unsere Gesellschaft und die Wirtschaft sehr verändert. Das Smartphone, so wie wir es kennen, gibt es erst seit 2009. Aber es verändert uns und unsere Art zu leben gewaltig. Spüren Sie den Einfluss der Technik?
Digitalisierung ist ein großes Thema auch im sozialen Sektor. Sie bietet große Chancen auch für das ehrenamtliche Engagement – aber sie erfordert auch Know-how, das manche Organisationen nicht haben, und es kostet natürlich Zeit, diese Medien entsprechend zu füttern. Für junge Engagierte ist der Umgang mit sozialen Medien und digitalen Tools selbstverständlich, während das für die ältere Generation vielleicht noch Neuland ist. Da helfen – wie überall – gemischte Teams! Wichtig erscheint mir außerdem, sehr kritisch zu hinterfragen, ob ein weiteres digitales Tool der richtige Weg ist, um als Organisation Wirksamkeit zu entfalten. Aber wenn Sie in unser Weiterbildungsangebot für Ehrenamtliche schauen: Das Digitale hat mittlerweile seinen festen Platz.
Gutes tun gehörte lange zum Selbstverständnis einer sogenannten aktiven Bürgergesellschaft. Der Begriff „Gutmensch“ hat dagegen in den letzten Jahren eine sehr negative Verwendung gefunden. Sind die startsocial-Menschen „Gutmenschen“?
In jedem Lebensbereich gibt es Menschen, die anderen mit ihrem missionarischen Tun auf die Nerven gehen. Das sind diejenigen, die im Engagementbereich oder in der Politik als „Gutmenschen“ bezeichnet werden, weil Sie ihr persönliches Tun über das Tun anderer erheben. Bei startsocial ist es eher so, dass alle, die sich über startsocial treffen, „Gutes“ tun und daran ist ja auch überhaupt nichts auszusetzen. Ich bin gerne „Gutmensch“. Sie doch auch mit Ihrem Magazin THEO, oder etwa nicht?
Wenn Sie so wollen. Sicher. Aber wir hoffen, dass wir niemandem auf die Nerven gehen. Aber klar. Das Gute stärken, das Schöne, das Spirituelle. Das ist schon unsere Mission. Christsein ist doch was Wunderschönes. Aber zurück zu Ihnen. Wird sich der Wettbewerb in den nächsten Jahren noch einmal verändern? Wenn Sie startsocial neu erfinden könnten – was würden Sie tun / vorschlagen?
Christsein ist wunderschön. Das brauchen Sie mir nicht zu erzählen. Wussten Sie, dass ich der weibliche Part eines Pfarrerhaushaltes bin? Der Spirit ist sozusagen mein täglicher Begleiter. startsocial funktioniert seit 2001 ziemlich gut und dennoch fragen wir uns in jedem Jahr, was wir besser machen können. Wir drehen also ständig an diesen kleinen Schräubchen. Wovon ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen träume, ist unser gewachsenes analoges Netzwerk von Stipendiaten, Alumni, startsocial-Unterstützern (Juroren und Coaches) und Förderern so zu digitalisieren, dass unsere Arbeit als „Sozialmakler“ schneller funktioniert. Hier fehlen uns nicht die Ideen, sondern leider Zeit und Geld für die Umsetzung.
Zum Schluss werden wir ganz konkret: Ich möchte die Welt verändern. Wie fange ich an?
Am besten erst einmal mit einer guten Analyse. Viele Ideen gibt es schon. Es lohnt sich zunächst eine gute Recherche. Dann sind Mitstreiter wichtig, mit denen es Spaß macht, ein kluges und möglichst einfaches Konzept zu entwickeln. Und wenn Wissen und Expertise fehlen, dann lohnt sich in jedem Fall eine Bewerbung bei startsocial. Nach dem Motto: Lass dir beim Helfen helfen.
Alle Informationen zum Wettbewerb, den Bewerbungsmodalitäten für Teilnehmer, freiwillige Juroren und Coaches finden Sie unter:
Der Text ist abgedruckt in:
theo. Das unabhängige katholische Magazin, 2019/02, S. 44 – 47.
http://www.theo-magazin.de