Paul Hankinson: Echoes of a Winterjourney
Abgedruckt in: Theo 5/2018. Goldene Zeiten.
Schubert habe ich nie gemocht. Warum genau, weiß ich nicht mehr. Weil Romantiker, das war ich eigentlich immer. Chopins Revolutionsetude lief zur „Beruhigung“ im HNO-OP nach einer Hörsturz-Infusion. Und ich fands geil. Das Rauschen und Tuckern im Kopf. Saties Gymnopedies lernte ich auf einem Kindergeburtstag kennen. Gut, das war eher so einer mit Basteln und Ausmalen am Tisch als Rumtoben im Garten. Aber diese Melancholie, dieses Nebelige. Das hatte irgendwas. Sowas gondeliges. Damals las ich gerne Atlantissagen. Schubert – der lief dann im Oberstufenkurs Musik. Natürlich mit Fischer-Dieskau. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus.“ Damit begann der Zyklus und unendliche intellektuelle Auseinandersetzungsrunden über die reaktionäre Metternichzeit, den unendlichen Schmerz des Menschen in seiner Endlichkeit, die gefühlte Einsamkeit, die Starre des gesellschaftlichen und individuellen Lebens. „Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten …“ Come on – go away.
Traurigkeit, so habe ich das damals für mich mitgenommen, war edel weil intellektuell und klassisch und bürgerlich gebildet.
Auf dem Klavier versackte zu der Zeit meine „Winteroffensive“ im Hanon-Fingerübungs-Schlamm. Dann kam das Abitur. Und der schwarze Klavierdeckel ging zu. Blieb zu. Und staubte zu. In aller edler, aber wertvoller Traurigkeit. Eben sehr gebildet.
22 Jahre später poppte in der Youtube-App meines Smartphones ein Klaviervideo auf. „Hey du. Ich habe hier ein Buch geschrieben. Für frustrierte Pianisten so wie dich. Komm zurück an die Tasten und spiel mit. Wir machen es einfach. Joy comes from limitation.“ Das war der Pianist und Performance-Künstler Chilly Gonzales. Er hatte eine Klavierschule für erwachsene Wiedereinsteiger geschrieben. Und sie machte Spaß. Ein halbes Jahr dauerte es, und ich wollte mehr. Mehr von dem Notenzeugs.
Im Kulturkaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße hatten sie zu der Zeit die Kelleretage umgebaut. Noten waren auf einmal extremst beliebt. Nicht nur Musik konsumieren, sondern selbst produzieren. Teil sein von der Musik. Durch den eigenen Körper. Embodied – wie das auf neudeutsch so schön heißt. Und da war er wieder. Schubert. Mit seiner Winterreise. Neu interpretiert von einem Australier. Ausgerechnet von einem Australier. Und ausgerecht Motive aus der Winterreise.
Warum man aus dem sonnigen Australien nach Berlin ziehen kann, bleibt einem vor allem in den schrecklichen Herbst- und Wintermonaten schleierhaft. Der Pianist Paul Hankinson hat den Sprung 2006 gewagt. Da hatte er bereits sein erstes eigenes Musical geschrieben. Am Queensland Conservatorium of Music seine Ausbildung mit Auszeichnung abgeschlossen und Orchestertourneen als Solist begleitet. Brahms, Beethoven und Schubert waren seine Favoriten.
In Deutschland erkundete Hankinson jahrelang die Popmusik. Bis ihn Schubert wieder packte. Und die Winterreise. „Ich war gerade im Supermarkt und plötzlich hatte ich das Motiv von ‚Gretchen am Spinnrade‘ im Kopf. Das rotierende Spinnrad als rhythmische Keimzelle – im Grunde ein Popsong! Schubert war 17, als er dieses geniale Stück schrieb. Ich ging nach Hause und erlaubte mir nicht, es anzuhören, sondern begann aus meiner Erinnerung heraus mit dem Motiv zu spielen, zu improvisieren. Ich entfernte mich immer weiter vom Original, wie bei ‚Stille Post‘, aber die emotionale Essenz dieser Keimzelle war im neu entstandenen ‚Nimmer und nimmermehr‘ immer noch präsent. Ich wollte sie auch nicht verändern, sondern vielmehr erforschen und erweitern. Ich wollte die Erinnerung an das Stück mehr erkunden, als das Stück selbst.“
Das war der Beginn eines neuen Konzeptalbums. Ein Jahr später, im Sommer 2017, war „Echoes of a Winter Journey“ fertig. 10 Schubert-Stücke. Neu interpretiert. Befreit von der wissenschaftlichen Rezensionsgeschichte steht das Album nun da. Glasklare Stücke. Beschwingt in der Melodieführung. Fragil in der Intonierung. Aber immer da. Eben wie ein Winteratemhauch.
Der Mann, der aus der Sonne kam, hat parallel zum Album ein Notenheft herausgebracht. Da liegt es nun in seiner Weissheit auf meinem alten, schwarzen Klavier. Und entfaltet eine ganz eigenartige Magie. Der Mann, der die Noten zu Papier brachte, wohnt nur ein paar Kieze entfernt. Die Zartheit lebt. Sie ist möglich. Inmitten der Großstadt. Wie Sonne, die im Raureif auf Reichsbeton aus Autoritätszeiten glitzert. Sie kann ausgehalten werden, ohne ins Brachiale abzurutschen oder von Melancholie verschluckt zu werden.
Alles hat seine Zeit. Alles hat seinen Meister. Hankinson zeigt, wie schön Schuberts Seelendestilate sein können und lädt ein, sie mitzuerleben. Sie leben zu lassen. Als Echo durch die Jahrhunderte.
Von Ewigkeit. Zu Ewigkeit.
Ich glaube, Schubert, wir werden doch noch Freunde.
Hankinson sei Dank.
Paul Hankinson
Echoes of a Winter Journey
CD und Notenbuch
Web: http:///http://www.hankinsonmusic.com