Happy people. Happy meal. Happy birthday.
Ein ultimativer Lobgesang zu Cortia Kents 100. Geburtstag
Abgedruckt und veröffentlicht in: Theo 4/2018
Foto: Corita Kent’s That They May Have Life, 1964 (detail; full image below). Photograph: Arthur Evans/Courtesy of the Corita Art Center, Immaculate Heart Community, Los Angeles, CA
Die größte Kunst, so heißt es, kommt nicht als Kunst daher. Eingerahmt. Verfallssicher verpackt und medial inszeniert. Die größte Kunst ist es, sich selbst zu schöpfen und andere mitschöpfend zu ermächtigen. Eine, die das bis zur Erschöpfung getan hat, wird in diesem Jahr 100 Jahre alt: Corita Kent, die Pop-Art-Nonne der 60er Jahre aus Los Angeles. Theo-Autor Sven Schlebes gratuliert ganz herzlich.
Wenige von uns Museumgängern und Fernsehquizteilnehmern kennen Corita Kent. Die zierliche Frau mit den wachen Augen, die ihre Schülerinnen und Schülern am Immaculate Heart Art College im Los Angeles der 60er Jahre zur harter Arbeit an sich selbst antrieb: “Come alive! (1967)“
Dafür sind ihre männlichen Freunde als Giganten der allgemeinen Kunst- und Kulturszene in die Geschichte und das Allgemeinwissen in BOLD eingegangen: die Designer Charles und Ray Eames, der Filmregisseur Alfred Hitchcock, der Komponist John Cage und der Architekt Buckminster Fuller. Die Umwälzungen der 60er Jahre waren hüben wie drüben gesellschaftliche Männerspiele. Das wissen mittlerweile nicht nur Feministinnen.
Doch es gibt nur wenige Kunstschaffende, die Corita Kent nicht berührt und inspiriert hat: Direkt oder indirekt. Corita Kent, das war und ist vor allem eine Künstler-Künstlerin.
Geboren 1918 in Iowa war Frances Elizabeth Kent vom Charakter zurückhalten und zierlich in der Gestalt, das fünfte Kind von sechsen, aufgewachsen auf einer von Nonnen des Sisters of the Immaculate Heart of Mary Ordens geführten Schule.
Früh erkannten die Lehrerinnen ihr künstlerisches Talent. Als sie mit 18 dem Orden beitrat, dauerte es nicht lange, bis sie von ihren Mitschwestern gebeten wurde, selbst in eine lehrende Position am Immaculate Heart Art College aufzurücken. Sie liebte das Lebendige in Allem und glaubte an den Künstler in Jedem. Den Mitschöpfer am Besten, was Gott in dieser besten aller Welten zur Entfaltung bringen möchte.
Es waren die Schlüsseljahre des 20. Jahrhunderts, die sie prägten. Depression, Weltkrieg, Kalter Krieg, das Klima das Angst vor einem weltumspannenden Kommunismus. Sie liebte ihren Orden, der bekannt war für seine liberale Geisteshaltung, und den geschützten Raum, in dem sie wirkten durfte.
Als Kent 1964 im Alter von 46 Jahren die Leitung des Ordens übernahm, schien die Welt sowohl gesellschaftlich als auch spirituell aus den Fugen zu geraten und alles möglich zu sein. In Rom versprach das seit 1962 stattfindende 2. Vatikanische Konzil eine Öffnung und Modernisierung der katholischen Kirche; Zeitgleich forderte die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner eine Öffnung des Gesellschaftssystems der USA.
In dieser Zeit des Auf- und Umbruchs lernte Kent mit Warhol die Kraft des Pop kennen und die Methode des seriellen Arbeitens. Grenzen lösten sich auf. Auf einmal konnte alles, was da ist, Ausgangspunkt für eine neue fantastische Reise sein. Alles schien zusammenzugehören, aufeinander zu verweisen, war Werk und Botschaft zugleich. Das Leben suchte sich Bahn. Und wer sich dem nicht öffnete, verweigerte die Beziehung, das Leben selbst. Nicht-Schöpfen wurde für Corita Kent mehr und mehr Nicht-Leben: Come alive!
Corita Kent war damit im besten Sinne total und radikal. Als Künstlerin. Als Christin. Denn ihre Arbeit mit dem Einfachen ging ans Eingemachte. Bis zum Kern.
Das begeistert und fordert zum Nachmachen auf. Ihre 10 Regeln für Studenten, Lehrer und das Leben sind mittlerweile Legion.
Aber: Das überfordert auch. Damals wie heute. Ihre Versatzstücke aus Werbeslogans, Musikstücken und Prosa auf expressiven und lauten Serigraphien und Siebdrucken feierten Maria als die süßeste Tomate von allen (The juiciest tomato of all. 1964) und forderten den Stop des Kriegswahnsinns in Vietnam (Stop the bombing. 1967).
Eine Frau im Ordensgewand, die sich einer banal-populäre Sprache bediente, um Himmel und Erde aufeinandertreffen zu lassen und die Botschaft einer absoluten Lebensfeier zu verbreiten. Das ging auf der einen Seite den meisten Kirchenverantwortlichen zu weit und verwirrte die nach einer neuen Art von Geisteshaltung und Spiritualität suchenden Menschen auf der anderen Seite.
1968, als der innerkirchliche Druck Traditionalisten zu groß wurde, erbat sich Corita Kent eine Auszeit vom Amt und Orden. Sie ging nach Boston, blieb dort und entsagte ihren Gelübden.
Ihre Arbeit wurde ruhiger, beeinflusst von Kulturen und Religionen anderer Regionen der Welt und vor allem der eigenen Krebsdiagnose. 1986 verstarb sie in aller Stille.
Geblieben sind unzählige Werke in den großen Museumssammlungen dieser Welt, bei Privatsammlern und dem offiziellen Corita Art Center, das sich seit Jahren bemüht, das populäre Bild des mittlerweile selbst zur Marke geronnenen „Pop-Art-Nonne Corita Kent“ um den eigentlichen spirituellen Kern zu erweitern.
Ganz im Sinne Kents hat das Center in diesem Jahr anlässlich des 100. Geburtstages alle Inspirierten und Faszinierten aufgerufen, die Möglichkeiten des Internes zu nutzen und Geburtstagsserigraphien zu kreieren: Unter dem Hashtag #corita100 versammeln sich so alle Einsendungen zu einer großen virtuellen Ausstellung und Lobpreisung der Farbe, der Wörter und einer Frau, die ihr Leben lang nichts anderes wollte als teilzuhaben am großen Werk genannt Leben.
Happy birthday!
Info:
Aktuelle Ausstellung:
Corita Kent: Get With The Action is
Ditchling Museum of Art + Craft
Web: ditchlingmuseumartcraft.org.uk
#corita100
Corita Art Center
Web: www.corita.org
Bücher:
Learning by Heart: Teachings to Free the Creative Spirit
Von Corita Kent und Jan Steward.
Corita Kent and the Language of Pop.
Von Susan Dackerman und Julia Bryan-Wilson.