Gott, Mensch und Technik
Künstliche Intelligenz nimmt uns mehr und mehr das Denken ab. Dr. Alexander Schug leitet am Forschungszentrum Jülich und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines neuen Supercomputers. Theo-Autor Sven Schlebes hat ihm Fragen gestellt, die gerade Christen interessieren dürften.
Abgedruckt in: Theo 4/2018
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Herr Schug, Sie leiten am Forschungszentrum Jülich und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Arbeitsgruppen zur Entwicklung eines Supercomputers. Was ist das eigentlich, ein Supercomputer, und wozu braucht man den?
Viele wissenschaftlich und auch gesellschaftlich relevante Fragestellungen lassen sich nicht nur mit Experimenten und Messungen, sondern zunehmend auch mit komplexen Computersimulationen untersuchen. Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn Messungen dazu sehr aufwändig und teuer oder sogar gänzlich unmöglich sind. Die dahinterstehenden mathematischen Modelle sind komplex und verlangen oft einen gewaltigen Rechenaufwand. Da kommen dann Supercomputer ins Spiel.
Supercomputer benutzen ähnliche Komponenten wie reguläre „Bürocomputer“ und koppeln diese Komponenten zu einem großen Rechnerverband, der untereinander sehr schnell kommunizieren kann. Eine Analogie wäre die von Badewannen und einem Schwimmbad. In vielen tausend Badewannen ist die gleiche Menge Wasser wie in einem Schwimmbad, aber erst in einem Schwimmbad können sie auch schwimmen. Entsprechend kann man erst auf einem Supercomputer die wirklich großen Simulationen durchführen, die einzelne Rechner überfordern.
Ein Supercomputer ist aber nicht einfach sehr viel schneller als ein einzelner Rechner, sondern rechnet viele Teile des Gesamtproblems gleichzeitig. Stellen Sie sich etwa eine Klimasimulation vor, wo die Atmosphäre der Erde in viele kleine Boxen aufgeteilt wird, die jeweils von einer Untereinheit berechnet werden. Entsprechend ist es eine wichtige Fragestellung in der Nutzung von Supercomputern, wie eine große Simulation effizient in kleine Rechnungen aufgespalten werden kann, die später wieder kombiniert werden.
Ist so ein Supercomputer die Basis für die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ / Artificial Intelligence?
Künstliche Intelligenz (KI/ AI) ist ein relativ breiter Begriff für ein Forschungsfeld der Informatik, welches sich etwa mit dem Einsatz von Maschinenlernen beschäftigt. Dabei sind in jüngster Zeit große Erfolge erzielt worden, etwa im Bereich Bilderkennung aber auch komplexer strategischer Spiele wie Schach oder Go, wo Computer mittlerweile den weltbesten Spielern überlegen sind. Allerdings sind dies jeweils sehr eng definierte Bereiche, auf die das jeweilige Programm zugeschnitten und trainiert ist. Es sind „Spezialintelligenzen“, die eine Sache sehr, sehr gut können indem sie große Datenbestände auf Muster untersuchen.
Ich gewinne oft den Eindruck, dass das Bild vieler Menschen von KI stärker durch Science-Fiction Filme und Literatur als durch den aktuellen Forschungsstand geprägt wird. Wie bei jeder Technologie, die schnell Fortschritte macht, sind Prognosen für die Zukunft sehr schwierig. Es gibt großartige Fortschritte in der KI, aber es gibt auch Rückschritte. So hat der IBM-Supercomputer Watson, der seit 2013 als Expertensystem in der Krebserkennung genutzt wurde, in der Therapie von Tumorerkrankungen zu keinem Durchbruch geführt. Ich glaube auch nicht, dass es in absehbarer Zeit etwas wie eine allgemeine künstliche Intelligenz oder gar Superintelligenz geben wird, die den Menschen „ersetzt“. Es wird in vielen Bereichen nützliche Speziallösungen von KI geben.
Vor allem die Wirtschaft und das Militär träumen von den neuen Möglichkeiten. In Asien sollen laut Börsianern sogar in 5 Jahren Computer Unternehmen schon leiten. Was sagen Sie dazu?
Computer sind sehr gut darin, große Menge an Daten nach Mustern zu durchforsten. Das dies zur Unterstützung von Entscheidungen dient, finde ich nicht überraschend. Allerdings sehe ich nicht, dass KI selbständig wirklich komplexe Entscheidungen treffen kann, die ein hohes Maß an Abstraktion erfordern. Eine KI erkennt derzeit keine Probleme selbständig, sondern wird auf spezifische Probleme, für die es eine gute Datenlage gibt, trainiert. Sobald dieser Datengrund fehlt kann KI nicht viel erreichen.
Gefährlich wird es aber, wenn man diesen Einschätzungen der KI einfach vertraut und sie nicht hinterfragt. KI ist ein Werkzeug, welches Aussagen oder Prognosen aufgrund bestehender Daten und Algorithmen trifft. Eine häufige Kritik an KI ist die der Black-Box, sprich dass die Komplexität der internen Datenverarbeitung so hoch ist, dass man nicht wirklich versteht, was dort passiert. Daher sollte man den Ergebnissen der KI auch nicht direkt vertrauen oder gar Verantwortung an eine KI delegieren, sondern muss die Prognosen kritisch hinterfragen.
Warum sehnen sich die Menschen aktuell so sehr nach Technik und KI und fürchten sie doch zugleich?
Technik hat dem Menschen in vielen Bereichen das Leben unglaublich verbessert. Ende des 19. Jahrhunderts gab es noch nach schlechten Ernten Hunger in Europa und eine bakterielle Infektion konnte lebensbedrohlich sein. In Deutschland haben wir derzeit einen unglaublichen hohen Lebensstandard, wie etwa Fernreisen als Urlaub, statt Hunger ganzjährlich eine große Auswahl an Lebensmitteln, medizinische Versorgung für alle und Echtzeit Zugriff auf weltweite Nachrichten. Das Versprechen von Technik und Fortschritt ist aber das „MEHR“, nicht das „ES IST GUT“. Insofern könnte auch KI viele Prozesse effizienter machen und den Wohlstand mehren. Darüber hinaus spricht KI aber neben allem materiellen, technischen Fortschritt eine der großen Fragen an: Wer sind wir? Ist der Mensch in seiner Intelligenz einzigartig?
Der Aspekt der Furcht vor KI tritt sicherlich nicht zuletzt auch aufgrund des Begriffes „Intelligenz“ in KI auf. Eine KI ist nicht wirklich intelligent im Sinne der alltäglichen Verwendung des Begriffs „Intelligenz“, sondern ist in einer Spezialanwendung sehr, sehr fähig. Etwa im genannten Schach- oder Go-spielen.
In den letzten Monaten haben viele Wissenschaftler, die sich mit der künstlichen Intelligenz beschäftigen, zusammengesetzt und die mittlerweile berühmten Asilomar Prinzipien niedergeschrieben, die Grundbedingungen für die weiteren Entwicklungsschritte in Sachen KI darlegen. Wie stehen Sie zu dieser Selbstverpflichtung?
Die Liste der Asilomar Prinzipien gibt Anhaltspunkte, um Risiken der KI anzugehen. Allerdings wird an KI, trotz aller Fortschritte in letzter Zeit, schon seit langer Zeit geforscht. Ich bin überzeugt, dass weiterhin wirtschaftlich nützliche Technologien aus der KI Forschung entstehen werden. Ich bin aber skeptisch, dass, ein wenig salopp gesagt, übermorgen die Apokalypse aufgrund einer KI-Superintelligenz ausbricht. Und falls dem so wäre, würde eine nicht-bindende Selbstverpflichtung wenig helfen.
Eine große Frage bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist die Frage nach dem Bewusstsein. Hat eine „intelligente Maschine“ so etwas wie ein Bewusstsein?
Eine der ganz großen Fragen in der Philosophie, die in jeder Generation wieder und wieder gestellt wird. Als Laie verbinde ich Bewusstsein vor allem mit Selbsterkenntnis und der Fähigkeit, Dingen eine Bedeutung zu geben. Als Naturwissenschaftler gehört es zu den Fragen, die ich schlecht packen kann. Woher weiß ich, dass die gesamte Welt nicht nur eine Illusion meines Geistes, meines Bewusstseins ist?
Ok – das ist die berühmte, buddhistisch inspirierte Frage aus der Matrix-Kino-Trilogie: „Was, wenn ich bloß einen Traum lebe?“ Für uns Christen ist neben dem Geist vor allem die Seele wichtig. Ist auch sie bloß eine Erfindung des Menschen oder bildet sie unsere eigentliche Essenz, unseren Kern?
Auch hier bin ich völliger Laie. Nach der Bibel ist es der „Hauch Gottes“, das, was uns von der Materie unterscheidet. Jeder Mensch muss diese Frage, wie auch die Frage nach dem Glauben, selbst für sich beantworten. Ich bin mir selber unsicher, da es eine der nicht-testbaren Fragen ist. Ich kann weder die Existenz noch die Nicht-Existenz von Seelen beweisen.
Philosophen sehen uns Menschen als ein sogenanntes „theopoetisches Tier“, das sich nach einem Gott sehnt. Für uns Christen erwidert Gott diese Sehnsucht. So sehr, dass er selbst Mensch wird und uns den Auftrag zur Mitschöpfung erteilt. Wie steht Gott zu den Menschenschöpfungen und damit auch der Technik?
Wenn Gott die Welt geschaffen hat, wie sie ist, dann sind jede Technik oder Menschschöpfung eine Konsequenz daraus und der Wahl des Menschen zwischen Gut und Böse. Ich bin mir sicher, dass Gott hofft, dass der Mensch die richtigen und guten Wahlen trifft.
Jetzt haben wir uns in langen Jahrhunderten durch die Kraft des freien Willens und damit der Selbstentfaltung einen selbstbewussten Platz an der Seite eines Gottes erschaffen, der angeblich allmächtig, gütig und allwissend ist. Gerettet hat uns sein Sohn, die Liebe und die Gnade. Die Vergebung. Jetzt kommen die Algorithmen. Die angeblich besser sind als wir. Dürfen wir hier auch auf Gnade und Liebe hoffen?
Algorithmen treffen eine Entscheidung aufgrund der Datengrundlage und/ oder ihrer Programmierung und sind nichts anderes als eine Art Verwaltungsvorschrift für einen Computer: Ein Algorithmus bestimmt, welche Daten in welcher Reihenfolge wie kombiniert und zusammengefügt werden und ist nichts Mystisches, sondern einfach ein Werkzeug. Damit sind diese Entscheidungen direkt von der Güte des Algorithmus und den zugrundeliegenden Daten abhängig. Und mit welchen Regeln und Daten der Mensch diese Algorithmen aufstellt und füttert ist vollständig die Wahl des Menschen.
Der Mensch hofft, durch die Verschmelzung mit dem Ewigen und Absoluten das Unfassbare greifbar zu machen. Es zu domestizieren. Aus dem „Ungeheuer“ ein „geheures Etwas“, wie es der Philosoph Sloterdijk formuliert, zu machen. Ist die Technik auch ein Akt der Aneignung und wenn ja: Wer domestiziert hier eigentlich wen?
Menschen schaffen jede Technik und setzten sie ein. Ich würde dahinter keine tiefe philosophische Erkenntnis sehen, sondern einfach Werkzeuge.
Schaut man in die Vergangenheit, kann man in vielen Religionen den Grundgedanken von Zyklen und Weiterentwicklungen erkennen. Dämmerungen, meist auch Götterdämmerungen, gehören dazu. Werden wir unser „Gottesbild“, unseren „Diskurs der Spiritualität“ erweitern und verändern?
Im Moment sehe ich global eine Verbesserung der Lebensumstände, wie es sie nie zuvor auf dem Planeten gegeben hat. Immer mehr Menschen leben in immer besseren materiellen Verhältnissen. Wir werden sehen, inwiefern sich dies auf die Spiritualität auswirkt, aber eine Prognose darüber traue ich mir nicht zu.
Was verrät die Tatsache, dass wir uns überhaupt um Dinge wie KI, Mensch und Gott Gedanken machen, über unsere aktuelle „abendländische Gesellschaft“?
Etwas unglaublich Positives. Dass es uns, bei allen Unkenrufen, besser geht als jemals zuvor. Wir haben große materielle Freiheit, größer, als jemals in der Menschheitsgeschichte zuvor. Dies schafft uns den Freiraum zu prognostizieren, zu philosophieren, Demokratie zu leben statt, wie die meisten Menschen zu nahezu jeder anderen Zeit der Geschichte, ums Überleben zu kämpfen.
Gibt es im Technikdiskurs eigentlich den Tod, die Liebe, den Sex? Die großen Themen der Menschheit?
Es gibt die Disziplin der Technikfolgenabschätzung, die die Auswirkung von Technologie auf die Gesellschaft untersucht. Als Technikdiskurs interne Überlegungen – Können Maschinen sterben? Ist die Reproduktion ein Fruchtbarkeitsakt – sind sie mir nicht bekannt.
Wenn Sie einen Ausblick wagen können: Seit fast 15 Jahren revolutionären Smartphones unser Leben. 20 Jahre weiter – Wie sieht unser Leben aus?
Da bin ich Optimist: In 20 Jahren wird es noch besser. Fortschritte in Wissenschaft und Technik führen zu gesünderem und längerem Leben, Europa findet in einem komplexen Prozess noch weiter zusammen und sichert den Frieden und vielleicht stehen sogar ein paar Menschen mehr in Deutschland morgens mit einem Lächeln auf.
Das klingt ermutigend. Darf ich Sie noch etwas Persönliches fragen? Was treibt Sie an im Leben? Haben Sie Wünsche?
Ich bin als Wissenschaftler in der glücklichen Situation, viel Freiheit in meiner Arbeit zu genießen und daran zu arbeiten, die Natur ein klein bisschen besser zu verstehen. Ich kann jeden Morgen aufstehen und mich auf meine Arbeit freuen. Dafür bin ich sehr dankbar. Thema Wünsche. Wir Deutschen neigen manchmal ein wenig dazu, Dinge arg negativ zu sehen und uns über Kleinigkeiten zu ärgern. Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland und Europa weniger Angst vor dem Neuen und neuer Technik haben und Chancen mit mehr Optimismus begegnen.
Herr Schug: Vielen herzlichen Dank für das Interview.
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Dr. Alexander Schug ist Wissenschaftler mit Schwerpunkten auf der theoretischen Biophysik und Hochleistungsrechnen. Er leitet wissenschaftliche Forschungsgruppen am Jülich Supcomputing Centre des Forschungszentrums Jülich und am Steinbuch Centre for Computing am Karlsruher Institut für Technologie.
Dr. Schug ist Diplom Physiker und wurde 2005 an der Universität Dortmund promoviert. Danach arbeitete er mehrjährig als Wissenschaftler im Ausland mit Aufenthalten an der Universität Kobe (Japan), der Universität von Kalifornien, San Diego (USA) und an der Universität Umeå (Schweden).