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Liebe mal sechs: 01 – Die Liebe zum Leben

Teil 1 der 6teiligen Liebesserie aus Theo. Katholisches Magazin.
Abgedruckt in: Theo 4/2018
Foto: Margarita Marx

Der Sommer ist zu Ende. Die bauchfreien LEVIS-Shirts verstecken sich gehwegs wieder unter Camo-Parkas. Vorbei ist die Nabelshow. Manche sollen sich ja über den Herbst freuen. Die fallenden Blätter. Den frisch-erdigen Geruch am Morgen. Den aufkommenden Nebel hier und da. Ich mag’s gerne etwas heißer. „So ist das Leben“, sagt mein Sohn dann gerne, wenn ich wehmütig Freibadbilder auf dem Smartphone durchscrolle. Ich muss lachen. Mein Sohn, der ist gerade mal vier. „Du weiß doch gar nicht, was das Leben ist, Kollege.“, grinse ich ihn an. „Leben, da musst du Geburtstag haben. Und meiner ist nach Weihnachten. Und das kommt nach dem Sommer“ antwortet er.

Wo er Recht hat, hat er Recht.

Für uns als Familie kommt nach den Sommerferien erst mal der Schulanfang. Die Umstellung schlaucht alle. Früh aufstehen. Der durchgetaktete Tag hat uns wieder. Erschöpft sitzen meine  Frau und ich auf dem Sofa. Die Kinder sind im Bett. Endlich.

„Wollen wir noch Liebe machen?“ frage ich vorsichtig. Meine Frau zuckt noch nicht mal mit den Augenbrauen. Das Leben, unser Leben. Zu anstrengend für die leidenschaftliche Liebe.

Zusammen surfen wir noch durch unsere Social Media – Blasen. Um etwas vom Leben da draussen mitzubekommen. Jeder für sich.
Digitales Gehype hier, Führungsgeblah dort, Societytrash irgendwo.
Nachrichten. Hassverzerrte Gesichter überall. Tränen. Wut. Alle haben Recht. Alle haben Sorgen. Alle wissen, dass es so nicht weitergeht. Aha. Soso.
Dazwischen ein bisschen Plastikmüll im Ozean, Dieselskandale, Trumpangriffe gegen die WTO. Merkel in Ghana. Aktion „Sophia“ im Mittelmeer. Erdogan-Anekdötchen. Bildungsberichte über soziale Verwahrlosung in ersten Grundschulklassen.
Jetzt sollen sie kommen, die revolutionären Transformationsjahre. Alles vertechnikt. So richtig.

 

Links über der Kommode hängt bei uns ein Sufiplakat. So eines, das die große befreiende Liebe zum großen Gott besingt, zum Leben in allen seinen Farben. Zum Sein. Ich habe es mal dahingehangen, weil mir das „Liebe sein“ in Ergänzung zu unserem „Liebe machen“ und dem Christus-Diktum des „den Nächsten lieben wie sich selbst“ sinnvoll erschien. Irgendwie müheloser. Was für ein Irrtum.

Liebe sein.

Selbst dafür sind wir gerade zu müde. Und zu gefangen im Hier und Jetzt.

Quasi durchgenudelt.

Warum Gott sich selbst als Mensch dem Leben hingab. Er wird mir ein ewiges Rätsel bleiben.

Ermattet legen wir die Geräte beiseite.
Meine Frau schläft ein.
Draußen wird der Bauschutt der neuen Großbaustelle abgefahren.
Dazwischen stöhnt eine Frau sich zum Höhepunkt.
Auf meinen Knien liegt das „World book of Love“. Ein diskursiver Rundumschlag um das Thema Liebe.  Liebe ist, wie das Leben an sich, ein Spiel von Chemie und Biologie. Erkannt und durchschaut. Selbst die Geisteswissenschaften haben die Liebe vermessen. Die begehrende, die intime, die kameradschaftliche, die verbindliche. Jeder weiß, was Liebe ist. Sie soll glücklich machen, schön und attraktiv, befreien, die Sorgen vertreiben, die besten Seiten aus einem herausholen. Liebe ist eigentlich das perfekte Allheilmittel in Zeiten der Selbstoptimierung.

Ich weiß, dass ich nicht viel weiß von der Liebe. Und auch nicht vom Leben.

Ich finde beides furchtbar anstrengend. Ok. Unsere Eltern und Großeltern lebten in anstrengenderen Zeiten. Das haben sie oft genug betont. Und für Menschen in anderen Ländern ist unser Leben hier ein Paradies.

Und doch: Ich finde es nicht leicht, diesen Flickenteppich aus Allem kohärent zusammenzuhalten, zu weben. Mich einzuordnen und zu positionieren, anderen zu helfen und gemeinsam weiterzugehen. Das Leben zu leben und es zu lieben. In allen Facetten.

Was ist es, das Leben? Was will es von mir? Und überhaupt: Kann das Leben zurücklieben?

Die sog. Performer, die ich treffe, gehen pragmatisch an die Sache und raten zur klaren Trennung des Lebens und seiner Bereiche. „Arbeit“ hier. „Politik“ da. „Liebesleben“ da. „Familie“ hier.

Das Leben. Das ist dann das, was passiert. Ganz einfach. Ob es einem gefällt oder nicht.

Das hat für mich immer etwas Autistisches.
Vielleicht ist das ein passendes Lebensmuster. Ein Überlebensmuster.

Ich für mich habe den Anspruch, nicht zuzumachen. Nicht wegzublenden. Nichts auseinanderzutrennen. Ich will zusammenweben. Und in Berührung kommen. Bewusst mitbekommen. Auch wenn es das ist, wovor ich am meisten Angst habe.

Manchmal kommt es mir so vor, als ob das „Ins-Leben-kommen“ eine Grundvoraussetzung dafür ist, um es lieben zu können. Oder ist das Gefühl, lieben und geliebt zu werden, die Grundvoraussetzung, um lebendig zu sein?

Eine Freundin von mir postet seit langem auf Instagram Fotos. Viele Leute mögen, was sie da tut. Die Fotos mit den meisten „Likes“ hat sie kürzlich während einer Ausstellung nachgezeichnet. Mit ihrem eigenen Blut. Je mehr Likes, um so mehr Blut im Füllfederhalter. Desto leuchtender ihre Bilder vom Leben.

„Warum machst du sowas?“, habe ich sie gefragt.

„Ich liebe das Leben. Daher fotografiere ich es. Und ich liebe, wenn Leute lieben, was ich tue und liebe. Das macht mich lebendig. Deshalb hole ich es zurück ins Leben. Mit meinem Blut. Meinem Leben.“

Vielleicht ist das ein ganz guter Anfang, das mit dem Mögen. Sich selbst und etwas anderes, jemanden anderes. Vielleicht geht sie dann weg, diese Müdigkeit, und das Leben kommt zurück.

Und mit ihr die Liebe. In aller Fremdheit. In aller Freiheit. In aller Kraft.

Schreiben Sie auf:

  • Was macht Sie lebendig?
  • Was nimmt Ihnen Lebenskraft?
  • Wie sollte das Leben Sie lieben, damit Sie sich vom Leben geliebt fühlen?
  • Wie können Sie das Leben lieben, damit das Leben sich von Ihnen geliebt fühlt?
  • Was uns wie ist Ihr „Liebes-Leben“?
  • Und was ist Ihre „Lebens-Liebe“?