Stefanie Sargnagel – Statusmeldungen.
Bücher lese ich selten. Also so richtig von der ersten bis zur letzten Seite. Vielleicht liegt das daran, dass sich meine Aufmerksamkeitsspanne als Medienkind dem Orientierungssummen meines Smartphones angepasst hat. Jedes Brummen eine Neuigkeit. Jede Minute. Mindestens. Gefühlt.
Was ich von Herzen gern lese, sind Statusmeldungen anderer Nutzer in den sogenannten Sozialen Medien, denen ich virtuell – und manchmal auch real – folge. In den 5 bis 10 Zeilen Leben geht es nicht um Häuser, Auto und Boot. Lionsclub oder Lacostehemd. Hier geht es viel um Fleisch. Selbstoptimiertes Fleisch in Bikinis. Um Reisen. Möglichst weit weg. Und Essen. Ganz, ganz viel Essen. Und manchmal um Politik und Kultur. Selten.
Immer dabei: Bilder. Während schicke Fotos dank Smartphonelinse und Filterprogrammen mittlerweile zum virtuellen Junkfoodstandard gehören, sind beigefügte Zeichnungen Ausweis einer romantischen Beziehung mit der alten, der analogen Welt. So wie bei den Facebookposts von Stefanie Sargnagel. Die heißt eigentlich Stefanie Sprengnagel, ist als 86 geborene Angehörige der Generation Y und verdient ihr Geld mittlerweile als Autorin und Künstlerin. Zeichnen – das ist ihr Hobby. Schreiben. Das war zunächst ihr Rettungsanker im Alltagswahnsinn eines Callcenters. Jeden Tag stundenlang telefonieren mit Menschen, die künstliche Hilfe nicht mögen, sondern sich lieber an andere Menschen wenden. Auch wenn die dann wiederum ihrerseits in Datenbanken wühlen. Dazwischen dann: Eine Statusmeldung auf Facebook. Damit der Alltagswahnsinn nicht zwischen zwei Ohren explodiert, sondern im Netz sich kultiviert. Als Provokation für viele. Als Gesprächsanfang für manche. Als grandioser Humor. Für Menschen wie mich.
Im letzten Jahr hat Sargnagel die Publikumsauszeichnung des Bachmannpreises gewonnen. Nun ist sie offizielle Stadtschreiberin von Klagenfurt und geht auf Lesereise mit ihrem mittlerweile dritten Buch – Statusmeldungen. 2 Jahre Facebookleben als Aphorismenkaleidoskop. 2 Jahre, in denen Historisches geschah.
Flüchtlinge. Wirtschaftskrisen. Das Erstarken der besorgten „Das-darf-man-doch-wohl-sagen-Bürger“. Und das Auseinanderbrechen eines als alternativlos angesehenen Europas.
Der Mantel der Geschichte, um gleich beim Thema Pathos zu bleiben, hat uns gestriffen. Und wie St. Martin sind wir gefordert. Zudecken und weiterreiten. Oder aufmachen und sich der grundsätzlichen Veränderung stellen.
Das Tolle ist. Sargnagel ist politisch. Sie kämpft für das Matriachat. Gründet weibliche Verbindungen. Lebt auf aus einem Arbeiterkindbewusstsein heraus. Und liebt das Anarchische. Soweit das als Callcentermitarbeiterin geht.
Das noch Tollere ist: Sie verändert sich. Sie ermüdet. Sie schleppt Flüchtlinge über die Grenze. Sie isst weiterhin Sushi. Und sie wird zur Künstlerin. Mit roter Baskenmütze, latenter Alltags- und Selbstverdrossenheit und Social Media – Attitude fast zur Popliteratin – gibt es heute eine popkulturellere Factory als Facebook?
Und doch gibt sie nicht auf zu ringen. Mit sich, ihrer Beziehung, den ganzen Hatern im Netz und dem Leben an sich. Und das ist das Allertollste.
Ihre Statusmeldungen sind granular betrachtet belanglos. In Reihe sind sie grandios. Schärfen sie doch den Blick für die Werthaftigkeit des Lebens. Und die Wichtigkeit des Humors.
Ich habe schon lange nicht mehr so laut und ausgiebig gelacht. Über das Buch, die Rezensionen, die Reaktionen. Über mich. Über unser Leben. Unser Mühen.
Zwischen Stuhlgang, Coitalspiel und Gesellschaftmachen.
Danke, #Sargnagel.
Stefanie Sargnagel. Statusmeldungen. Rowohlt, ca. 19 EUR.
// theo. Katholisches Magazin. Ausgabe 04/2017
http://www.theo-magazin.de