Love me. On! (Liebe)
// Foto: Zachary Nelson. CC.0
Liebe ist ein großes Wort. Oder besser gesagt: Ein eher kleines Wort mit einem großen Versprechen. Legionen von Spirituellen, Romantikern, Künstlern und Teenagern haben sich an ihr versucht. Segeln unter ihrer Flagge. In Büchern, Filmen und Songs ist sie sozusagen Dauergast. Zusammen mit ihren Freunden „Menschen“, „Leben“, „Tanzen“ und „Welt“, wie wir seit Jim Pandzko wissen.
Immer häufiger interessiert sich aber auch die Wissenschaft für die Königin der Gefühle. Und damit wird’s ernst für die Liebe. Was ist das Herz ihrer Magie? Was ist ihr Wesen?
Barbara Fredrickson ist Psychologin. Genauer: Positive Psychologin. Und sie will es genau wissen, was es mit den Schmetterlingen im Bauch auf sich hat. Als Teil einer neuen Wissenschaftsbewegung in der eher empirischen Psychologie, die vor allem in den USA viele Liebhaber gefunden hat, liegt ihr das Wohlbefinden von uns Menschen am Herzen. Ihr Ziel: ein glückliches und gesundes Leben. Ihr These: In jedem Menschen gibt es etwas Positives, das sich zu stärken lohnt. Und die mächtigste Entwicklungskraft ist die Liebe.
Das klingt erst einmal nicht neu. Vor allem für uns Christen nicht. Doch Fredrickson fegt aus im Tempel der Hohen Liebe und stellt ausgerechnet das romantischen Bild der großen und ewigen Liebe zwischen zwei Menschen zum Sperrmüll an den Straßenrand. Liebe ist für Fredrickson immer noch das Höchste der Gefühle. Aber eben auch nicht mehr. Damit befreit sie das Liebeskonzept von schwülstiger Transzendenz und verortet sie als biochemische Reaktion im konkreten Körper. Liebe ist für Fredrickson ein Moment der Verbundenheit mit dem Gegenüber, eingefasst in Zeit, Raum und Körper. Ich begegne einem Menschen und erlebe mit ihm ein Spiel von sich gegenseitig reflektierenden, positiven Emotionen. Ein Wechselspiel, das unsere Gehirnaktivitäten und Biochemie angleicht und uns in einem Mikromoment aus unserer kleinen Isolation befreit und in den größeren Zustand der „Intersubjektivität“ erhebt. So weit, so gut. Der Punkt, an dem sich viele Rezenten reiben, ist die ortsgebundene Singularität des Gefühls „Liebe“: Es lebt im Moment körperlicher Nähe und schläft, wenn das Gegenüber nicht anwesend ist. Körperlich. Geistig. Emotional.
Liebe lebt für Fredrickson in der konkreten und temporären Leibhaftigkeit und scheint damit unvereinbar mit einem holistischen Liebesansatz, der von der Ewigkeit gespeist wird. „Was für eine Profanisierung“, schreien da die einen. „Eine Entzauberung des Heiligen“, die anderen.
Für mich selbst war Fredricksons Generalangriff auf das poetische Konstrukt „Liebe“ geradezu eine Gnade. Der Liebesgral zersprang. Und entblößte im Staub: hohles Nichts. Für eine kurze Zeit wurde mein Blick klar. Ich spürte den Stuhl, auf dem ich saß, und entdeckte die Menschen, die mich umgaben. Sofort war Wärme da. Nähe. Ja, hier beginnt alles. Und es endet hier.
Aber der situative Tod, die Abwesenheit der Anderen nach dem nun empfundenen Jetzt, kann das Gefühl nicht mehr löschen. Das weiß auch Fredrickson. Sie selbst beschwört es im zweiten Teil ihres Buches, wenn Sie uns Leser zur Liebesmeditation auffordert und aus der Vorstellung heraus eine empfundene Nähe zu anderen Menschen aufbauen lässt. Nur sie erzählt es uns nicht direkt. Denn Sie weiß, dass wir uns sonst schon wieder aus Angst vor körperlicher Nähe in das geistliche Refugium flüchten wollen.
Doch hier beginnt alles. Kommt alles zusammen. Hier sind wir zuhause. Werden geboren und sterben.
In den Momenten der Verbundenheit.
Barbara L. Fredrickson, Ph. D.
Die Macht der Liebe. Ein neuer Blick auf das größte der Gefühle.
Im Original: Love 2.0. Creating Happiness and Health in Moments of Connection.
Ca. 22 EUR