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Himmel, hilf!

// theo. Katholisches Magazin. Ausgabe 04/2015

 

Das Künstler-Duo Various & Gould erschafft Heilige für die Nöte unserer Zeit. Sven Schlebes hat sich mit beiden unterhalten.

Wir hätten es wissen sollen. Die Sache mit dem EURO. Dem Klima. Dem IS-Terror.Der Massentierhaltung. Und natürlich die Sache mit den Flüchtlingen. Seit Jahren warnen Wissenschaftler, verbreiten Soziologen Horrorszenarien und beschwören den Aufbruch in ein neues, ganz anderes Zeitalter. Doch das alles war ganz lange ganz weit weg. Bis zum Sommer. Da kamen zuerst die Griechenlandschulden und dann die Flüchtlinge. Sie kamen nicht, sie strömten unds eitdem versiegt der Strom nicht mehr. Und keine Arche ist in Sicht. Dafür tauchen vermehrt Mauergiganten aus dem urbanen Sumpf Berlins auf. Stumme Mahner auf Papier. St. Nimmerlein ihr Patron und Hoffnung ihr Geschäft. Es sind moderne Heilige unserer Zeit. Geschaffen als Kunstprojekt vom Künstler-Duo Various & Gould, um dem Unfassbaren etwas entgegenzusetzen.

Interview: Sven Schlebes
Foto: Various & Gould

 

Hallo, Various & Gould. Schön, dass Ihr Zeit für ein Gespräch habt. Als die ersten großen Flüchtlingswellen Berlin erreichten, lief ich gerade durch Kreuzberg. Es war ein verregneter Tag. Auf einmal war da dieser Junge mit der Nerdbrille und dem Anker. Er schaute mich an. Mit der Rechten hielt er seinen Pass in der Hand. Da ahnte ich: Jetzt gibt es kein Ausweichen mehr.
Ah. Dann ist Dir St. Cargo begegnet. Unser Schutzheiliger und Patron der Flüchtlinge und Boat-People, der MigrantInnen und GastarbeiterInnen. Sein Heiligenschein besteht aus einem Sternenkreis, der von Stacheldraht umgeben ist – ein Symbol für die Festung Europa.

 

Mir lief es heiß und kalt den Rücken herunter. Ich hatte vorher noch nie etwas von Eurem Heiligenkonzept »St. Nimmerlein« gehört. Und auch nur wenige Flüchtlinge direkt getroffen. Diese Begegnung war ein echter Flash.
Das freut uns natürlich, wenn unsere Heiligen ein wenig mithelfen, jemanden für aktuelle Probleme zu sensibilisieren. Wir haben zwei Jahre an dieser Siebdruck-Plakatserie zum Thema »Moderne Heilige« gearbeitet. Hier in Berlin ist vor allem St. Gentrifizian sehr gefragt, der Schutzpatron der Hausbesetzer und Hausbesitzer, der Alteingesessenen und Zugezogenen. Aber auch sein Counterpart, St. Spekulatius, der Münz- und Scheinheilige, steht hoch im Kurs.

 

Ich gestehe: Außer St. Cargo bin ich noch keinem Eurer neuen Heiligen in den Straßen Berlins begegnet. Erst im Web bin ich fündig geworden. Ihr stellt mittlerweile sogar aus?
Ja, Anfang letzten Jahres haben wir die komplette »St. Nimmerlein«-Serie in einer Kölner Galerie präsentiert. Und mehrere Heilige gehören auch zur Sammlung des Kunstmuseums Dieselkraftwerk (dkw) in Cottbus und werden von den dortigen MuseumspädagogInnen regelmäßig als Grundlage von Schulworkshops genutzt. Wir freuen uns, dass unsere Serie sowohl von Gläubigen als auch von Nicht-Gläubigen positiv aufgenommen wird. Sogar ein Professor für Pastoraltheologie hat großes Interesse bekundet.

 

Wie seid Ihr denn überhaupt darauf gekommen, moderne Heilige zu erfinden?
Anders als man vielleicht denken könnte, hat unsere Beschäftigung mit Heiligen überhaupt nichts mit Frömmigkeit zu tun. Wir sind beide nicht religiös. Als Künstler interessieren uns Heilige als kulturelles Phänomen. Wie werden sie abgebildet? An welchen Attributen erkennt man sie? Bei welchen Sorgen werden sie um Hilfe angerufen? Die unzähligen Schutzheiligen und ihre unterschiedliche Beliebtheit innerhalb der Epochen sind als Indikatoren für die jeweils vorherrschenden Nöte der Menschen zu lesen, z. B. die vielen Pestheiligen zu Zeiten des »schwarzen Todes«.

 

Aber warum ausgerechnet Heilige? Sind das nicht Figuren einer Geschichte, die ganz weit weg ist von unserem Alltagsleben?
Ja, klar, christliche Heilige haben in unserer Gesellschaft stark an Bedeutung eingebüßt, und viele ihrer ehemals gebündelten Funktionen wie Vorbildhaftigkeit, Hilfe, Schutz und Trost haben sich inzwischen auf Versicherungen, Ärzte, Politiker und Pop-Idole verteilt, also quasi auf Ersatzheilige wie z. B. Mahatma Gandhi, Simone de Beauvoir, Martin Luther King und Steve Jobs. Trotzdem sind die Heiligen noch immer fest in unserer Kultur verankert: Man denke nur an Straßenund Städtenamen, die Wettersprüche zum Siebenschläfertag oder die Feste St. Nikolaus und Silvester. Die Ausgangsfrage für unsere Serie war folgende: Für welche der heutzutage akuten Probleme könnte es (im übertragenen Sinne) neue Heilige brauchen? Da Menschen häufig erst viele Jahrzehnte nach ihrem Tod heilig gesprochen werden, ergeben sich Zuständigkeits-Lücken hinsichtlich neu auftretender Nöte, Gefahren und Krankheiten.

 

Ok. Aber was genau macht für Euch einen Heiligen aus?
Wenn wir nicht nach der christlichen Definition gehen, so sind Heilige für uns einfach besonders beispielhafte Menschen, quasi Heldinnen und Helden. Aber mit der Heiligsprechung ist es so ähnlich wie mit Denkmälern. Welchem Menschen wird ein Denkmal errichtet und welchem nicht? Nicht jeder Heiliggesprochene muss unbedingt ein guter Mensch gewesen sein. So gesehen, sind auch unsere Heiligen zwar exemplarische VertreterInnen für bestimmte Probleme, aber als Figuren ambivalent. Sie haben positive und negative Seiten. Wir haben unsere persönlichen HeldInnen nicht in der Heiligenserie, sondern in der darauffolgenden Hexenserie abgebildet. In unserem Projekt »Wanted Witches – Witches Wanted« porträtieren wir 13 lebende und unangepasste Menschen, gewissermaßen als GrenzgängerInnen: Marina Abramoviç, Yoko Ono oder Edward Snowden..

 

Heilige in Schwarz sozusagen. Wenn Ihr das Projekt weiterführen würdet, welche gesellschaftlichen Bereiche bräuchten Eurer Meinung nach dringend einen Heiligen?
Wir hatten tatsächlich noch ein paar Heilige angedacht. Terrorismus wäre natürlich noch ein Thema und Journalismus.

 

Was glaubt Ihr: Kann man zu Euren Heiligen sprechen? Antworten sie?
Man kann unsere Heiligen auf jeden Fall um Hilfe oder Fürsprache bitten bei den großen und kleinen Problemen der heutigen Zeit. Ob es wirkt, können wir nicht beurteilen. Natürlich kann uns niemand die Bewältigung unserer Probleme abnehmen. Aber wir glauben, dass die Heiligen den Leuten Hoffnung spenden können und bei manchen Menschen auch überhaupt erst ein Bewusstsein für bestimmte Nöte und Sorgen schaffen.

 

Dann hoffe ich für uns alle, dass St. Cargo mein Bitten erhört.
Wir hoffen mit, denn die prekäre Situation der Flüchtlinge und die vielen fremdenfeindlichen Übergriffe und Brandanschläge in Deutschland erschüttern uns sehr!

 

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Die in Berlin lebenden Künstler Various & Gould arbeiten seit 2005 als Duo zusammen, 2010 schlossen beide ihr Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee bei Prof. Alex Jordan ab.
Various & Gould sind Grenzgänger auf verschiedenen Gebieten. Sie stehen für die schlichte, aber wirkungsvolle Formel: 1 + 1 = 3. Gemeinsame Interessen wie die Liebe zum Papier, die Begeisterung für zufällige Schönheit im Alltag und vor allem die Arbeit im öffentlichen Raum bilden die Grundlage für ihre Kollaboration. Siebdruck und Collage sind ihre Leidenschaft.
Auf meist spielerische Weise nehmen sie sozialrelevante Themen wie Arbeit, Migration, (sexuelle) Identität, Tod, Globalisierung, Religion oder die Finanzkrise in Angriff. Ihre Werke sind beeinflusst von (politischer) Plakatgrafik, Dada und Pop Art. Sie zeichnen sich oft durch eine starke Farbigkeit und eine vieldeutige Verknüpfung von Symbolen, Assoziationen und Stilen aus.

Aktuelle Projekte:
Face Time: www.variousandgould.com/face-time/
City Skins: www.variousandgould.com/city-skins-workshop/
Web: www.variousandgould.com