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Postmoderne: Abschied vom entzauberten Gott

Abgedruckt in theo. Katholisches Magazin 01/2015.

theo. Katholisches Magazin 01/2015. Cover.

Der Theologe und Religionsphilosoph Jörg Lauster legt ein sensationelles Buch vor: »Die Verzauberung der Welt« liefert den ersten echten Schlüssel zum Verständnis der christlichen Kultur. Es entringt dem Leser ein großes »Ja«.

Es gibt Momente, die verändern das Leben. In Sekunden sieht der Mensch die Welt mit anderen Augen: Dreimal tief durchgeatmet in klarer Winternacht und auf einmal funkeln die Sterne. Er ist herausgefallen aus dem »Kenn-ich-schon-Modus« direkt in eine groß und fremdartige Welt, die vibriert, voller Wunder und Geheimnisse steckt und nur eines will: entdeckt werden. Es gibt nur noch ihn und dieses Universum. Kein Dazwischen, bloß noch ein gegenseitig verschränktes Darinsein.

Das „Ja“ zum Leben: Eine Wiederverzauberung der Welt

Das plötzliche Eintauchen in das, was ist, nennen östliche Religionen »das große Erwachen«. Leben ohne Filter. Für das Christentum, und insbesondere das Katholische, ist es die totale Wirksamkeit der Wandlung, eine immerwährende Eucharistie und damit das Bild der Vereinigung mit Gott. Ein großes Ja zu Jesus Christus, zu sich selbst und zum Leben. Dieser Durchbruch zur absoluten Realität ist zugleich die Verzauberung der Welt. Auch da sind sich die östlichen Religionen und das Christentum einig. Wir aufgeklärten Europäer tun uns schwer, es zu benennen. Zauber und Wunder werden Kindern und schlichteren Geistern als Weltfluchten zugestanden. Allen päpstlichen Verweisen auf das Wunder und Geheimnis des Glaubens zum Trotz. Die Welt und auch das Christentum sind in den meisten Köpfen und Herzen fest im Diesseitigen verwurzelt. Wissenschaftlich zu Tode seziert, belanglos als Selbstvergewisserungsformel vorgetragen und abgestellt als kompakte Gewissheit im Bücherregal. Welt und Gott sind damit gründlich entwundert.

Der Ruf der Wiedererweckung in der Postmoderne

In diese Grabesruhe unseres Lebensschlachtfeldes ruft ausgerechnet ein Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie die scheinbar toten Seelen zur Wiederauferstehung im neuen Glanz. Mit seinem Buch nähert Jörg Lauster sich der einfachen, aber sinngebenden Frage, wie wir wurden, was wir sind. Sie macht die Verschränkung unserer kleinen Identität in Zeit und Raum sichtbar und ordnet unser fragmentiertes Ich in ein großes und ganzes Wir ein, das nicht ausschließt.
Lauster hat zur Klärung der Identitätsgenese den Weg einer Kulturgeschichte des Christentums gewählt und uns damit nicht nur einen Schlüssel an die Hand gegeben, um vor allem kulturelle Werke aus Kunst, Musik, Architektur und Literatur als vielfältigen Ausdruck christlicher Weltwahrnehmung zu verstehen. Sein Buch zeigt eindringlich, dass das Christentum an sich ein immer verwandelnder Zustand von Leben in der Welt war und ist und es damit keinen wirklichen Verfall des Christentums, oder biblisch gesprochen, keinen wirklichen Tod gibt. Vielmehr zeigt seine Kulturgeschichte, dass mit Jesus Christus etwas in diese Welt gekommen ist, das nur über die Fülle seiner Erscheinungsformen begreifbar ist. Und damit ewig leben wird. Und das ist die großartige und unbegreifliche Liebe des christlichen Gottes.

Die eigentliche Sensation: Die Wiederauferstehung einer christlichen Selbstvergewisserung

Diese zwischen den Zeilen des epischen Werks durchscheinende spirituelle Botschaft ist die eigentliche Sensation. Hier findet – religiös gesprochen – die Wiederauferstehung einer christlichen Selbstvergewisserung in der Postmoderne über den Weg einer modernen wissenschaftlichen Abhandlung statt. Und damit die Freilegung des Geheimnisses des Lebens in Verschränkung mit dem Geheimnis des christlichen Glaubens – ohne zu enthüllen. Sondern nur über den Verweis auf die kulturelle Entäußerung von uns Menschen.
So staunt Lauster mit dem Leser über die in einer Bachkantate verborgene Harmonie des Universums, die Feier der prachtvollen Schöpfung in einer Skulptur von Michelangelo und die sittliche Kraft des Christentums in einem Tolstoi-Roman.
Er trauert über zahlreiche Irrungen und Verwirrungen in den Kreuzzügen, auf den Scheiterhaufen und Fundamentalismen. Und er lacht über die Gewissheit von vielen Christen, sich mit ihrer Vorstellung von Christus das ganze Bild von Jesus Christus gemacht zu haben. Denn, so Lauster, »was Jesus predigte und das Christentum glaubt, ist nicht dasselbe. Dazwischen liegt eine beträchtliche Metamorphose. Mit seiner undogmatisch-reflektierenden Art legt Lauster ein wunderbar zu lesendes Buch vor und damit den längst verschollen geglaubten Zauber frei, der beidem innewohnt: dem Christentum und der Welt. Und der in der gegenseitigen Durchdringung von beiden zur vollen Entfaltung kommt. //

Jörg Lauster »Die Verzauberung der Welt«
Eine Kulturgeschichte des Christentums
C.H. Beck, 29,99 Euro