Platz da!
Abgedruckt in theo. Katholisches Magazin 04/2014.
Die katholische Kirche versteht sich selbst als Haus, in dem viele verschiedenartige Menschen wohnen. Doch gerade in Deutschland wollen schon lange nicht mehr alle in diesem Haus wohnen. Eigentumswohnungen und Reihenhäuser stehen hoch im Kurs, vorwiegend mit Eigenenergieversorgung und einer neuen Raumaufteilung für das Familienleben von heute. 500 Jahre nach dem Auszug Luthers und seiner reformatorischen Mannen steht diesmal sogar das gesamte Haus »Christentum« vor der Schicksalsfrage aller alten Gebäude: Kernsanierung unter Denkmalschutz, qualifizierter Rückbau oder Totalabriss mit Platz für Neues?
Krisenzeiten sind Hoch-Zeiten für die Immobilienbranche. Hier soll das Geld Sicherheit finden, Wertstabilität und sogar optimale Rendite. Das Unbeweglich-Ewige der eigenen vier Wände scheint auch im Zeitalter der unzähligen Gelegenheiten der letzte Zufluchtsort für jene Vermögenden zu sein, die wenig Risiken eingehen möchten. Krisenzeiten waren einst auch mal Hoch-Zeiten für Ewigkeit verheißende Institutionen wie die Kirche, indem sie der Angst und inneren Leere der Menschen den sicheren Fels Jesu Christi und einen Platz in Gottes kommendem Reich entgegensetzen konnten. Das Unbewegliche, das alle Zeitalter Überdauernde, war fast zweitausend Jahre lang Markenzeichen der katholischen Kirche, vielleicht sogar einer ihrer Erfolgsgaranten: Die Jahreszeiten kommen und gehen. Doch der Kirchturm steht und verweist mit seinem Geläut auf das nahende Gottesreich, das ist an vielen Orten noch immer so. Allein es fehlen die Gläubigen. Gründe dafür gibt es viele, genauso viele wie Reformtische und -papiere seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass die Welt eine säkulare geworden ist, dass das Geschäft mit der Angst andere Anbieter übernommen haben und die Sache mit der Freiheit und dem gelingenden Leben eine Sache der Selbstoptimierung und des Geldes geworden ist.
Drei Aufgabenfelder waren es einmal, die die katholische Kirche ausmachten und damit rechtfertigten: Die Verkündigung der frohen Botschaft (Martyria), die Feier des Gedächtnisses an den Herrn und Erlöser Jesu Christi (Liturgia) und das Praktizieren spürbarer Nächstenliebe (Caritas).
Doch mit der Zeit verkam die frohe Botschaft zur schlecht erzählten Geschichte, die Gedächtnisfeier zur lästigen Pflichtveranstaltung im sonst schon prall gefüllten Lebensalltag und die Nächstenliebe zur professionell durchgetakteten Sozialdienstleistung mit Kontrollkennziffern auf einem hart umkämpften Anbietermarkt.
Das Heilige wurde zum Banalen, und durch Missbrauchsskandale, Autoritätenmisstrauten und die solide abgeführte Kirchensteuer auf Kapitalerträge zum lästigen Sorgenkind. Christentum und Gesellschaft – das war einmal eine fest verwobene, flächendeckende Partnerschaft. Heute kennen viele Menschen nicht einmal die Bedeutung christlicher Feiertage. Und so ist die Frage nach einer neuen Struktur des Hauses »Kirche« keine simple Modefrage, die unter Zeitgeistdebatten abzuhaken wäre. Sie zielt auf die Basis: Wird die christliche Kirche in ihren drei Aufgabenfeldern von der aktuellen Gesellschaft gebraucht oder würde ihr Verschwinden, ebenso wie das manch einer politischen Partei, keine wesentliche Lücke hinterlassen? Was kann Kirche besser als alle anderen, und auf welchen Gebieten ist sie unersetzlich?
Nur hinter vorgehaltener Hand wird die Debatte um die Neuordnung von pastoralen Großräumen, die Zusammenfassung von Firmengruppen und die liturgische Notversorgung vor allem von ländlichen Gebieten als das bezeichnet, was sie eigentlich ist: die größte Existenzkrise des Christentums seit der Reformation. Konnte Luther wenigstens noch Gott herauseisen aus dem Alleinbesetzungsanspruch des Papstes (der sich als Gottes Stellvertreter ausgab) und die Gläubigen befreien aus der Abhängigkeit des Seelenablass-Handels, ist Gott heutzutage ein gänzlich strukturbefreiter Mann und die meisten aktiven Christen vor allem strukturgefangen. Wo liegt die Lösung?
Das Aufgeben von Strukturen ist schmerzhaft, bedeutet es doch eine Preisgabe von Tradition, Kultur und Geschichte, doch um den christlichen Glauben auch in einer offenen und pluralen Gesellschaft leben zu können, bedarf es keiner aufwändigen Verwaltungsapparate und eines Kirchenstaatsvertrags, der die Finanzierung sichert.
Investoren suchen in Krisenzeiten ihren Bankberater auf, um herauszubekommen, was die wirklich lohnendsten Anlagen sind. Zu welchem Neuinvestment würde uns wohl unser Berater und Erlöser, Jesus Christus, raten? Was würden die Ordensgründer sagen, die zu ähnlichen Krisenzeiten neue christliche Lebensmodelle und Gemeinschaften entwickelten und damit auf die jeweiligen Herausforderungen ihrer Zeit antworteten?
Sie würden womöglich mit Blick auf die sich herausbildende Netzwerkgesellschaft die Grundstruktur der drei Aufgabenfelder nicht in Frage stellen und zurückfragen: Was bedeutet heute Gemeinschaft im Generellen und Gemeinschaft im Namen Gottes? Folgt die Art der Gemeinschaft der vorgegebenen Form, oder folgt die Form als dienendes und unterstützendes Prinzip der Funktion und damit der Gemeinschaft? Gestartet sind die heute vom Nachwuchsmangel bedrohten Ordensgemeinschaften auch nicht in kunstüberbordenden Barockklöstern, sondern in zumeist zerfallenen Häusern. Am Anfang steht der Mensch in der Gemeinschaft mit Gott. Und nicht ein leeres Haus. Noch ist die Aufgabe des Anspruches, eine gesamtdeutsche Volkskirche zu sein, ein Tabu. Aber in Zeiten wie diesen werden selbst Tabus nicht mehr geschont. Denn in ihnen könnte ein Schlüssel zur Veränderung verborgen sein. Und es gilt, genau hinzuschauen, wenn von Strukturreform die Rede ist: Um was geht es wirklich? Um die Aufrechterhaltung von Kulturgeschichte, eines Idealbildes und des ach so schönen Feiertagstheaters? Oder steht in der Mitte eben doch ein Leben in der Nachfolge Jesu Christi? Soziologen wissen: Das Radikale entscheidet über das Grundniveau einer Gesellschaft. Sie geben im Positiven wie im Negativen die Spannweiten des Möglichkeitsraumes vor. Für eine Gesellschaft der Mitte ein Albtraum. Doch Jesus Christus hatte nicht die Liste des Weltkulturerbes im Sinn, als er von Zion sprach.
Sondern einen neuen Himmel, eine neue Erde und einen neuen Menschen.
Es wird Zeit, die Reise wieder aufzunehmen. //