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Das Heilige im schönen Schein

Abgedruckt in theo. Katholisches Magazin 04/2014.

theo 04/2015. Cover.

Joanna Jepson ist die erste Priesterin am London College of Fashion und sehr hip. Sie ist überzeugt davon, dass sich hinter dem schönen Schein nur Gott verbergen kann. Um den Blick fürs Wesentliche zu schulen, kreiert sie Workshops für Schüler, in denen sie nicht nur in Berührung kommen mit Formen, Stoffen und Farben, sondern auch mit dem Ewigen.

VON SVEN SCHLEBES
Ausgerechnet in der Hauptstadt des Punk und des schnellen Geldes gönnte sich 100 Jahre nach seiner Gründung das renommierte London College of Fashion eine Pastorin und schockierte damit die Modewelt: Was zur Hölle sucht bitte eine Dienerin Gottes im 21. Jahrhundert am Designerpult? Ein augenscheinlicher Anachronismus in Zeiten des verdunstenden Glaubens. Wenn auch ein besonders ansehnlicher.
Für die junge Vikarin Joanna Jepson war es an der Zeit, neben symbolträchtigen, ikonographischen Heiligenscheinen auch im Spiel mit dem »schönen Schein« der Gegenwart eine tiefere Heiligkeit zu entdecken. Geboren mit einem missgebildeten Oberkiefer war sie selbst jahrelang Opfer des grassierenden Schönheitswahns und konnte von der irdischen Herrlichkeit des Lebens nur träumen. Gesellschaftlich isoliert zog sie sich noch weiter zurück: In ein wallisisches Kloster, in dem sie mit Ordensleuten zusammenlebte.
Irgendwann fand sie Gott und mit ihm den inneren Anschluss an ein Leben in Fülle. Äußerlich öffnete ihr eine Schönheitsoperation den Weg zurück in die Gemeinschaft: Schönheit, das war seitdem ihr janusgesichtiger Gefängniswärter und zugleich ihre private Mission: Schönheit sollte das Leben bereichern und nicht einengen oder sogar verhindern. Schlagzeilen machte Jepson, als sie 2002 gegen einen Arzt in Herefordshire klagte, der einen 28-Wochen-Fötus mit Spaltkiefer abtrieb. Entgegen der Auffassung der Eltern, die sich auf das Gesetz beriefen, das Spätabtreibung bei ernsthafter Behinderung erlaubt, pochte Jepson auf den Lebenswert sogenannter gehandikapter Menschen und entfachte anhand ihres eigenen Beispiels eine öffentliche Lebensschutzdiskussion im Angesicht eines weiter anschwellenden Schönheitswahnes.
Vor Gericht verlor die streitbare Jepson, bei den Menschen in Großbritannien gewann sie Herzen. Als sie 2006 zur ersten Priesterin des London College of Fashion berufen wurde, hatte auch die Kreativszene ihre personifizierte Jean d’Arc. Sie selbst fühlt sich in ihrer neuen »Gemeinde« angekommen – das Spiel der Mode rund um Glamour, Identität und Provokation greift sie auf in ihren Predigten, Workshops und Coachings und konfrontiert damit die Handelnden: Was glaubt ihr, wer ihr wirklich seid? Welches Spiel spielt ihr hier? Was stellt ihr dar? Und wie verändert ihr damit die Welt?
Das sind unbequeme Fragen. Und doch scheint sie damit einen Nerv zu treffen. Ihr Workshop »Empty Hanger / Der leere Kleiderbügel«, der die Themen Nachhaltigkeit, Identität, Doppeldeutigkeit, Würde und Zugehörigkeit thematisiert, ist ein Renner an vielen englischen Schulen. Ihre Botschaft befreit und ruft zugleich auf zur Verantwortung: Wir alle gehören zur großen Familie der Menschheit. So unterschiedlich wir auch sein mögen.
Wäre sie John Lennon, würde sie seine Botschaft aufgreifen: »Alles, was du brauchst, ist Liebe.« Aber Jepson ist Jepson, eine Frau, die an die besondere Heilsbotschaft des Christentums glaubt und zwischen Mode, Spiel und Liebe immer wieder auch Jesus Christus das Wort erteilt. Für Jepson der wahre Stoff, aus dem ein spirituelles Leben gewirkt werden kann. //

Foto: Suki Dhanda