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Nichts als Worte

Abgedruckt in: theo. Katholisches Magazin. 02/2014.

Gottes Wort mit wissenschaftlichen Mitteln auf die Spur zu kommen und es zu deuten ist das Ziel der christlichen Theologie. Dieses Selbstverständnis ist in Wissenschaftskreisen umstritten, denn der Kern der Theologie, Gott selbst und seine Heilsbotschaft, ist unangreifbar gesetzt. Rund um die Person Jesus Christus und die Heilige Schrift ist eine reichhaltige  Ausdeutung des Heilplanes entstanden, der uns Christen hilft, unseren Glauben zu leben und Gott nahe zu kommen. Doch nicht nur die daraus erwachsenen Dogmen sorgen für Unmut und Unverständnis auch unter katholischen Christen. Die Auseinandersetzung mit schriftlich vermittelter und gedeuteter Religion neigt wie viele Wissenschaften zur Nabelschau. Das konkrete Leben von Jesus Christus und das heutiger Christen droht aus dem Blickfeld zu geraten. Die Zukunft des Christentums hängt nicht unmaßgeblich von dem Willen der Theologen ab, sich von den kunstvoll ausgeschmückten Systemausdeutungen zu verabschieden und das Leben in den Blick zu nehmen: das alltägliche und das des Erlösers.

Am Anfang war das Wort. Dann wurde es Materie und biologisches Leben, Welt und Fleisch. Daran glauben nicht nur wir Anhänger der drei abrahamitischen Religionen. Aber vor allem für Christen spielt die Suche nach dem der Schöpfung zugrunde liegenden und innewohnenden Wort Gottes (Griechisch: logos theou) eine zentrale Rolle. Wer es zu hören vermag oder gar die göttliche Sprache versteht, bei dem hat der Heilige Geist Einzug erhalten. Fortan ist dieser Mensch in der Welt, aber nicht mehr von der Welt. Als Ver-Rückter darf er auf die Offenbarung des Heilsplanes Gottes hoffen und gilt als Mittler zwischen Gott und uns Menschen. Das Christentum jedoch versteht sich eben nicht als eine rein subjektivistische Lebensweltwelt, sondern als einen objektiv erfahr- und erforschbaren Raum mit Universalanspruch. Alles ist überprüf- und rückführbar auf Gott, sein Wort und seinen Sohn, den Erlöser Jesus Christus. Damit versteht die Christliche Theologie sich traditionell als ein anderen Wissenschaften gleichwertiges Fachgebiet, unterteilt nach verschiedenen christlichen Konfessionen.
Grob gliedert sich die Universitätstheologie in die Bereiche Biblische, Historische und Praktische Theologie. Im Laufe der Zeit haben sich Sondertheologien entwickelt, die versuchen, Gott und seinen Heilsplan unter einem besonderen Fokus auszudeuten: unter anderem die Befreiungstheologie, die Erweckungstheologie, die Politische Theologie und die Feministische Theologie.
Sie alle eint, inhaltlich vom dreifaltigen Gott zu reden als Schöpfer und Erlöser – vor allem und gerade in der Person Jesu Christi sowie als Heiligen Geist. Besondere Bedeutung kommt der Kirche und ihrem Wirken im Heiligen Geist als Offenbarer, Verkündiger und Heilswirker zu. Als Basis der Glaubensarbeit gilt den meisten Theologien die Bibel als Offenbarungsbuch, ferner die Tradition, Glaubenslehren der Tradition, sogenannte dogmatisierte Aussagen der Lehramtes und im weiteren Sinne auch das Glaubensempfinden aller Gläubigen.
Wie die aktuellen kircheninternen Umfragen unter den sowohl katholischen als auch evangelischen Gläubigen zeigen, schwindet das »normale« Glaubensempfinden der Kirchenmitglieder und der Zuspruch zu den Lehrsätzen. Zu häufig stellen sich für wahr gehaltene Dogmen der Lebensausgestaltung entgegen oder sperren sich dem Verständnis. Was den Einen zuviel Weltlichkeit der Kirche und ihrer praktischen Theologie und Seelsorge, ist den Anderen ein zu wenig an konkreter Lebenstauglichkeit. Hier eine Brücke zu finden gilt als Herausforderung, vor der nicht nur die Hauptamtlichen stehen. Doch auch unter den Dogmatikern der Kirche hat die Erkenntnis sich durchgesetzt, dass das Christentum im 21. Jahrhundert vor einer Wirksamkeitsprüfung steht: Funktioniert das Heilsversprechen in meinem Leben, hat es eine Bedeutung. Funktioniert es nicht, wird es für Menschen zur kulturellen Folklore. Ein einfaches »Ihr müsst nur glauben!« wird aus dieser Wirksamkeitsfalle nicht herausführen. Da sind sich immer mehr Theologen einig. Das Wesen des Christentums als studierbare Wahrheit zu verstehen ist in Zeiten der modernen Selbstermächtigung des Menschen keine Lösung mehr.
Und so rückt seit einigen Jahren der Offenbarer Jesus Christus wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung. Es sind Theologen wie Eugen Biser, die die Mitte und die Norm des Evangeliums auf Jesus Christus mit seiner »revolutionären Botschaft« von Gott als dem bedingungslos liebenden Vater hin ausrichten und sowohl sein Leben als auch seinen Tod und seine Auferstehung im Dreiklang neu entdecken.
Ob die theologische Wende von der Lebens- zur Wirkungsgeschichte Jesu Christi, der Umschlag von seiner historischen zu seiner mystischen Biographie, das Ende seines Wirkens für die Seinen und der Anfang seiner Einwohnung in ihnen« (Eugen Biser, Antlitz, 254) wirklich das tragende Fundament einer »Theologie der Zukunft« sein wird, muss sich erst noch zeigen.
Der Einwohnung Jesu Christi förderlich kann jedoch auf jeden Fall eine Auseinandersetzung mit »der Wahrheit im Zeugnis der anderen Religionen« sein (Prof. Schmidt-Leukel). Das kommende Jahrhundert wird nicht nur die Menschen, ihre Waren und Dienstleistungen näher zusammenbringen. Es wird ein Aufeinandertreffen verschiedener subjektiv erlebter Wahrheiten geben, die miteinander sinnvoll in Bezug gebracht werden wollen.
Aber vielleicht sind der Weg nach Innen an die eigenen christlichen Ursprünge auf der einen und nach draußen hin zur Heiligkeit der Anderen ja kein Widerspruch. War es nicht Jesus Christus, der bewusst das Treffen mit den systemisch Aussätzigen suchte? Worum er bat, war nicht der Glaube an viele Worte, sondern an die Wirksamkeit des einen Gottes. Vielleicht entdeckt eine Theologie der Zukunft ja dann, dass der eine Jesus Christus bei seiner individuellen Einwohnung ein ganz eigenes Kleid wählt, um seinem menschlichen Gastgeber ganz besonders nahe zu sein.
Das wäre dann die vielbeschworene Einheit in der Vielfalt. Weiß Gott, was auch immer das genau bedeuten mag. Ganz bestimmt aber die Theologie der Zukunft.