Körperspiele
Abgedruckt unter dem Titel „Die Entdecktung der Einheit“ in theo. Katholisches Magazin 03/2014.
Spiritualität ist in aller Munde. Kaum eine Gesprächsrunde, in denen wir Menschen nicht über die großen Fragen des Universums sinnieren, um wieder in den Einklang mit dem Leben zu kommen. Ein verschwommenes Modewort, das Religiösität verspricht, Esoterik atmet und alle Arten von Lebenshilfe liefert und damit im Profanen angekommen ist. In dieser amorphen Belanglosigkeit läuft die Spiritualität Gefahr, ihre eigentliche Aufgabe, die Rückkoppelung an das Transzendente und Immanente nicht mehr leisten zu können. Um sich wieder in lichte Höhen aufschwingen zu können, lohnt ein Blick in die Schätze christlichermSpiritualität.
Seit Jahrhunderten war für kirchliche Ordens- und Erneuerungsbewegungen die Spiritualität (lat. Spiritus: Der Geist/das Geistige, Hauch) der Schritt hin auf einem Weg zu Gott: Erst mit der rechten Art und Weise, der Schau Jesu Christi, lasse sich die Nachfolge des Herrn realisieren und so das Werk der Heilsbotschaft zum Leben erwecken.
Dabei war Spiritualität immer weit mehr als eine suchende Haltung auf der einen und glaubend annehmenden auf der anderen Seite. Wer einmal erfahren hat, dass er selbst von Gott kommt, lebt sein Leben anders: Nicht mehr die Trennung vom Anderen, von der Umwelt und vom Höchsten ist das vorherrschende Gefühl, es ist vielmehr die berührende Verbindung mit allem. Und genau dieses Lebensgefühl »Haut-an-Haut« verwandelt den Lebenskampf in einen Zustand der Gnade und der Hoffnung. So unverständlich und grausam die Umstände auch sein mögen.
Diesen Zustand des Einsseins haben vor allem Mystiker erfahren, selbsternannte Liebhaber Gottes. Sie schöpften aus der spirituellen Erfahrung die Kraft, für eine ständige Erneuerung des Glaubens, der Kirche und der Gesellschaft zu werben. Für Kritiker muss man kein christlicher Mystiker sein, um der daraus resultierenden wertegebundenen Lebenshaltung zu folgen: Güte, Freundlichkeit, Mitgefühl, liebevolle Zuwendung, Toleranz und Akzeptanz, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit finden sich in Kulturkreisen rund um die Welt und heißen in aktuellen Diskussionen »spiritueller Humanismus«.
Das mag genügen, um ein diverses und säkulares Gemeinwesen zu organisieren. Um wirklich den Himmel auf die Erde zu holen genügt es nicht. Denn erst die Gegenwart Gottes, näher als der eigene Atem, schenkt eine tiefe innere, grundsätzliche Angenommenheit, die aus der eigenen Kleinheit hinausführt in einen Zustand der Weite, Ehrfurcht, Dankbarkeit und Liebe. Doch dieses christliche Geschenk ist eines, das abgeholt und eingelöst werden will. Was die meisten Menschen nicht tun und sich in diffusen Ängsten und Zweifeln verlieren. Wer nicht sucht, wird es nicht finden. Aller göttlichen Abstammung und Beteuerungen zum Trotz. Zu verlockend ist der Kirchenbankstatus der Interpassivität, zu unsicher der Ausgang der Suche. Gelebte christliche Spiritualität lässt sich nur durch Praxis erfahren, sie enthält keine Aussagen mit einem logischen Wahrheitsgehalt, liefert keine gedanklichen Einsichten und ist im Kern sprachlich kaum kommunizierbar. Das ist zu viel der Herausforderung für die meisten von uns, die Sicherheit im Äußeren suchen und in Überzeugungen anderer Menschen. Genau betrachtet ist wirkliche Spiritualität in Zeiten der absoluten Aufklärung und der Wissensgesellschaft beinahe ein revolutionärer Gegenentwurf.
Denn Spiritualität leben, heißt bewusst und entschieden leben: Suchend. Findend. Mit Jesus Christus im Mittelpunkt. Egal, ob wir beten (»Rennaissance des Herzensgebetes«), Askese, Kontemplation, Nächstenliebe, Exerzitien, Wallfahrten, Musik oder religiöse Rituale praktizieren. Christliche Spiritualität kennt zahlreiche Formen und Übungen. Das ist anstrengend und fordert Entschiedenheit. In voller Selbstverantwortung.
Ja: Jesus Christus ist für mich gestorben. Aber ich als Christ entscheide, ob Brot und Wein in mir sich verwirklichen oder eben nicht.
So notwendig eine Veränderung der Diakonie und der Seelsorge auch sein werden: Die Zukunft der christlichenn Kirche hängt ab vom individuellen und gemeinschaftlichen Gottesdienst und damit der christlichen Spiritualität. Hier entscheiden Christen darüber, ob Jesus Christus lebt. Oder ob er und seine Heilsbotschaft gestorben sind.
Der Theologe Karl Rahner weissagte in den Sechziger Jahren, dass der Christ der Zukunft Mystiker sein werde oder eben gar nicht. 50 Jahre später gibt es noch immer genug Christen, die aber nicht den Weg in die dunkle Nacht der Seele gehen wollen. Wahrscheinlich ist dies in großen Gemeinschaften auch schwierig. Doch die Beispiele der zahlreichen Movimenti in der katholischen Kirche zeigen, dass bewusstes christliches Leben in Kleinstgemeinschaften möglich ist und ebenfalls immer seine Anhänger finden wird.
Eine Herausforderung für die christliche Spiritualität der Zukunft wird die Entdeckung des Körpers werden: Sowohl des biologischen als auch des von Joseph Beuys definierten Sozialkörpers (das wir). Nicht noch mehr Worte und Gedanken werden uns aus der Isolationshaft unserer Weltkonstruktion befreien. Erfahrung beginnt dort, wo das Leben uns konkret berührt. Ganz einfach, ganz direkt, ganz klar.
Diese Art von Spiritualität als Einheit von Körper, Seele und Geist zu leben wird sicher geglaubte Lebensinhalte zerstören. Und damit unser modernes kollektives Selbstverständnis als Gesellschaft – innerhalb und außerhalb der Kirche. Doch der Weg lohnt sich. Es ist die Befreiung aus dem »Dazwischen-sein.«, dem halbgaren Leben. Es ist der wirkliche Sieg des Lebens über den Tod. Nicht in Buchstaben, sondern erlebbar.
Diese Erfahrung macht Spiritualität so wichtig, gerade in Zeiten der Veränderung. Sie beginnt als Bewegung des Geistes im Innen und bahnt sich ihren Weg als Gewissheit nach Außen.
Und Gott wurde Mensch. Fleisch.
Genau hier beginnt die Reise.
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