Die Zukunft ist größer als wir
Abgedruckt in theo. Katholisches Magazin 03/2014.
Der Kulturphilosoph und Autor Charles Eisenstein glaubt den Weg ins Paradies gefunden zu haben meint Sven Schlebes.
Gegenwartskritik ist keine Revolution mehr. Selbst für den braven Bürger und Christen nicht, der zwar den umstürzlerischen Gehalt der Heilsbotschaft sonntäglich in Predigten preist, aber ansonsten froh ist, wenn sein klimatisiertes Auto ihn anschließend mit klassischer Musik durch die Unwägbarkeiten des Lebens ins Eigenheim bringt. Vorbei an allen Baustellen des Lebens, geschützt vor Wind und Wetter. Für eine Fahrt mit offenen Fenster oder einen Fußmarsch ist das Draußen für die meisten von uns längst zu groß geworden und zu kompliziert.
Daher der Rückzug ins Sichere, Komfortable; und die immer lauter werdende Kritik an der »gefühlten Unübersichtlichkeit«. Auch wenn diese Art der Kritik keinem verändernden, sondern einen abwehrenden Impetus verfolgt, verbindet allein der Akt des Kritisierens uns Individualisten mit denjenigen, für die dieser Zustand der bequemen Separation von den Mitmenschen, der Umwelt und dem Leben an sich keine wirkliche Zukunft mehr hat. Nicht, weil es nicht so schön im Faradayschen Käfig wäre, sondern weil es eben ein Käfig ist und uns unserer wirklichen Potenziale beraubt. Um sich zu entfalten, brauchen die Potentiale die Begegnung mit dem Anderen.
So beschreibt der Autor und Occupuy-Aktivist Charles Eisenstein diesen neuen Zustand einer Gesellschaft, die verstanden hat, dass sie nicht allein ins Leben gekommen ist, um als Kinder der Aufklärung Herren ihrer selbst zu werden. Sondern um gemeinsam die großen, grenzenübersteigenden Wunder des Lebens erleben und ermöglichen zu können. Auch diese Erkenntnis ist eigentlich keine Revolution.
Gerade für Christen nicht. Denn Gott war schon immer größer als wir, als unser Leben und unser Herz (1 Joh 3,20 ). Doch weil wir tief ins uns Angst vor dieser Erkenntnis haben, leben wir unser Leben mit ego – statt christozentrischer Perspektive. Die Grenzen sind die, die wir ziehen, die Freiheit ist die, die wir meinen. Wir haben alles unter Kontrolle.
Das »Draußen« unterliegt aus falsch verstandener Demut nicht unserer Verantwortung. Bis das »Draußen« in unseren Sphäre einbricht. Eisenstein ist eigentlich Wissenschaftler und kein religiöser Mensch im klassischen Sinne. Doch er hat verstanden, dass die Zukunft, wir Christen nennen es die »neue Stadt«, größer ist als wir selbst. Und er fordert uns auf, unseren aufgeklärten ich-Status in ein neues WIR einzubringen. Um wieder in Kontakt mit dem Leben zu kommen und der Entfaltung einer neuen Welt nicht länger im Wege zu stehen. Er wählt dazu keine christologische Sprache, sondern die eines aufgeklärten Romantikers. So erreicht er seit Jahren Menschen rund um den Erdball und verkündet auf seine Art die christliche Botschaft vom zukünftigen Paradies. Das zu verstehen ist die eigentliche Revolution. Gerade für uns Christen, gerade in Zeiten der Glaubenskrise, die in Wahrheit eine Kirchenkrise ist und keine Gotteskrise. Denn Er wirkt auch ohne uns und arbeitet für seine schönere Welt, die unser Herz kennt. Charles Eisenstein
»Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich«
Scorpio, 18,99 Euro.