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Liebe(r) konkret: The future is back

>> Originalfassung eines Textes für die Kolumne des Fortschrittsforum.de der Friedrich-Ebert-Stiftung e.V. Abdruck mit freundliche Genehmigung.

Zukunft hat Hochkonjunktur. Vor allem zu Neujahr. Doch 2014 überschlagen sich nicht nur Wahrsager mit Voraussagen. Nach gefühlten endlosgegenwartsverliebten Kaugummijahren, in denen nur Freaks und Forscher das Neue zu lieben schienen, wird die Sehnsucht nach einem anderen Morgen massentauglich. Ob er demokratisch wird, steht in den Sternen. Zeit, sich die Kristallkugel zu geben.

Es gab eine Zeit, da war es geradezu hipp, sich aus akademischen Gründen der Beschäftigung mit dem Morgen zu widmen. Getreu dem Motto „The trend is my friend“ eröffnete am Ende des 20. Jahrhunderts jeder zweiter Geisteswissenschaftler, der eine halbwegs saubere Hausarbeit abliefern konnten, eine Trendforschungsagentur und stieg ein in Geschäft mit der Zukunftsberatung. Bevorzugte Abnehmer waren damals Automobilkonzerne, die eher von der Neugestaltung des urbanen Raums träumten, als ihre eigenen Hausaufgaben zu machen.
Kein Kreditinstitut, dass nicht seinen Klienten einen Trendreport per Newsletter im Quartal zukommen ließ, um ihnen das Investment in das globale Business schmackhaft zu machen. Träumen war erlaubt. Vor allem in Gold.
Dann kam das neue Jahrhundert und mit ihm der 11. September. Und irgendwie ging mit den Türmen auch die Lust von uns Westlern auf die Zukunft verloren. Nach dem grandiosen Sieg unseres Gesellschaftsmodells waren wir Sieger und Rolemodel für die gesamte Welt. Zumindest fühlten wir uns so. Doch erst einmal stand unsere aktuelle Wahrheit und Beschuss. Es galt zu verteidigen, was uns ausmachte. Auch wenn uns mit jedem neu aufgenommenem EU-Beitrittskandidat das Gemeinsame durch die Finger zu gleiten schien. Das Bestehende wurde diffus, und mit ihm das Zukünftige.
Das Populäre feierte das Revival und mit ihm die ewige Wiederholung des Bekannten. Das Mystisch-Archaische aus Mittelalter und der Antike feierte seine große Zeit in Literatur und Kino. Das vermittelte uns Nicht-Kriegskindern das Gefühl, teil eines großen Ringens zu sein. Auch ohne Waffe in der Hand. Wer wissen will, wer er ist, schaut in die Vergangenheit. Und bemächtigt sich ihrer Erzählung, um sich und seinem Leben Sinn zu vermitteln.
Das Web und die Smartphoneevolution waren für die meisten von uns reale Zukunft genug. Das Vorstoßen in das berühmte „Neuland“. Mit einer großen Kiste voll Spielzeug. Ohne große Auswirkung auf das reale Leben, das sich ganz im Stil des Zeigeist pragmatisch auf Sicht dahinentwickelt.
Doch nun scheint die Sehnsucht nach einem neuen, anderen Morgen auch von anderen Gruppen als uns Dauerweltverbesserern und Umweltrettern ergriffen zu haben: Es ist wieder einmal die Wirtschaft, die den Blick in die Wunderwelt von übermorgen wagt und dabei sogar zum Tauchgang in die fantastische Literatur antritt. Nach den Expansionsplänen von Google, Amazon und Konsorten machen sich nun auch hierzulande Manager der sogenannten Old economy Gedanken über Bedürfnisse und Absatzmärkte von morgen. Dem Gegner und dem Kunden immer einen Schritt voraus.
Nur langsam begreifen wir Nutzer, dass der spielerisch-narzistische Tiefschlaf, in dem wir uns mit jeder neuen Smartphone-App haben versetzen lassen, uns davon abhält, selbst aktiv zu werden. Denn in Zukunft wird nicht nur der Zugang zu Wissen, Geld, Soft- und Hardware entscheiden für ein gelingendes Leben sein, sondern die Fähigkeit, selbstbewusst und selbstbestimmt zu leben.
Schon heute wird deutlich: Wir teilhaben will an der vernetzt-digitalen Welt von morgen, vertraut einem Feudalherren: Ich nutze seine Technik, seine Standards, vertraue auf seine Dienstleistungen. Im Gegenzug versorgt er mich mit ständigen Updates und schützt mich vor allen Bedrohungen. Einziger Nachteil: Untreue wird mit dem Verlust meiner virtuellen Identität bestraft.
Noch stehen die meisten von uns staunend vor dem schier unendlichen Markt der Möglichkeiten. Doch „der Verlust utopischen Denkens in der Spätmoderne“ (FU-Konferenz 2013. „Ohnmächtige Sehnsucht – Zum Verlust utopischen Denkens in der Spätmoderne“ ) beginnt zu schmerzen. Gibt es immer noch eine Möglichkeit, in Freiheit, eigenständig und ohne Angst selbstbestimmt wirklich verschieden zu sein? (FU-Konferenz „Eine Erinnerung an die Zukunft“).
So technisch der Blick in die Zukunft aktuell auch geprägt sein mag: Wer tiefer in die Kristallkugel blickt, entdeckt die Schlüsselfrage des neuen Wir: Wollen wir gemeinschaftlich und verantwortlich die Zukunft kreieren oder in vorgegebenen Bahnen bloß spielen?

Eine neue Welt entsteht und mit ihm werden die Karten für das neue Miteinander komplett neu gemischt. Möge das neue Wir kein aus schwachen Individuen zusammengesetzte Etwas sein mit einer Nähe zum Totalitarismus kaschiert unter dem Deckmantel des Gutmenschentums, der Effizienz oder des Service sein, sondern der lebendige Nährboden für eine starke Demokratie.

Dann hätten wir endlich einmal wirklich aus der Vergangenheit gelernt.
Für eine wirklich neue Zukunft.