Liebe(r) konkret: Fishing for wisdom
>> Originalfassung eines Textes für die Kolumne des Fortschrittsforum.de der Friedrich Ebert Stiftung e.V.
An offiziellen Expertengremien mangelt es nicht: Vom Bioökonomierat bis zur nationalen Stelle zur Verhütung von Folter stehen Deutschlands Besten der Exekutive in Zeiten der Neuen Unübersichtlichkeit mit Weitsicht zur Seite. Doch vor allem ein diskursives Alphatier beherrscht die öffentliche Debatte: die Wirtschaftsweisen. Zu Unrecht, findet unser Kolumnist Sven Schlebes und findet immer mehr Vergnügen am Weisen-TV.
Das Dschungel-Camp ist das Enfant Terrible unseres noch verbliebenen Bildungsbürgertum: Mit Verachtung werden nicht nur die Konsumenten des Königs aller Sozial-TV-Produkte gestraft. Nein, auch den Kontrahenten wird gerne schon mal ein intellektuelles Defizit bescheinigt. Letzte Chance für ein neues Szeneleben.
Doch mittlerweile lieben nicht nur Fernsehzuschauer, Produzenten und die Boulevardjournaille das Privatsenderformat. Auch Politiker entdecken die diskursive Kraft von sogenanntem Trash-TV. In Großbritannien zum Beispiel ging 2012 stieg Torries-Abgeordnete Nadine Dorries in den existenzialistischen Ring der Lebensbanalitäten. Das sorgte selbst im Monty Phyton-Land für große Aufregung. Eine Zwangsbeurlaubung von der Parteispitze war ihre Polit-Community-Strafe. In Deutschland ist man spätesten seit Gerhard Schröders Volkskanzlerauftritten bei Wetten-Dass kein Fan von Politikern, die sich in boulevaresker Manier die Nähe des Politedutainments suchen. Zumindest was das Fernsehen und die neuen Medien betrifft. Zu groß ist die Angst, das Ansehen der eh schon angeschlagenen Politik noch weiter zu ramponieren und sich selbst der populistischen Kasparei verdächtig zu machen. Große Geister und PR-Berater haben längst den medialen Direktkontakt zur Seichtigkeitssphäre als Nomansland deklariert. In der Sicherheit der Printwelt dagegen scheut sich niemand, großartig inszeniert 180-Grad-Kehrtwendungen öffentlichkeitswirksam mit Machgestus und Denkerpose zu verkaufen. Und nebendran lachen die Gartenkralle, der All-Inklusiv-Ballermann-Urlaub oder der tiefergelegte Spoiler-GTI.
Die Debatten rund um die Koalitionsverhandlungen und die anvisierte Abstimmung der Parteibasis über den Vertrag zeigen: Das „Fußvolk“ will nun endlich auch in den eltehrwürdigen Parteien mitreden über die Große Politik. Und sucht dafür dringend nach geeigneten Diskursplattformen, um sich auch in aller epischen Tiefe über komplexe Sachverhalte auszutauschen.
Angstvoll blicken die Auguren auf das Mumble-Fass der Piraten, in dem Perlentaucher zu Beginn zunächst eine Jaucheschicht erwartet, bis der Schatz geborgen werden konnte. Und auch das Bleistiftklirren im Blätterwald längst eher Massaker erwarten als neue Höhenflüge der partizipativen Gesellschaftsgestaltung.
Doch es wird Zeit, dass allen Ängsten und schlechten Erfahrungen zum Trotz neue, skalierbare Diskursformate ausprobiert werden, in denen die zum Teil diamentralen Weltsichten von Experten thematisiert und auseinandergenommen werden. Dabei ist noch nicht einmal die Tiefe der Auseinandersetzungen von Wichtigkeit, sondern die temporär und lokal fokussierte Darstellung von sektorialen Wirklichkeitswahrnehmungen, die für sich genommen logische Stimmigkeiten aufweisen können, diese aber im Wettbewerb mit anderen bewähren müssen.
So gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Expertengremien im Dunstkreis der Bundesregierung und ihrer Ministerien, die das aktuelle Politikgeschäft um die Metaweisheit der Sektorexperten ergänzen soll. Werkzeuge hierfür sind Gutachten, Studien und Prüfberichte, in wunderschöner Fachsprache auf unendlich geduldigem Papier gedruckt. Besondere Aufmerksamkeit erhält der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (BMWi), besser bekannt als „Die Wirtschaftsweisen“. Was sie sagen, hat besonderes Gewicht: Bei den Journalisten, den Politikern und damit auch in der öffentlichen Meinung. Ungerechtfertigter Weise. Denn Weisheit ist eben nicht nur in der Wirtschaft zuhause. Sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Und alle sollten die Chance zu erhalten, Stellung zur wirtschaftsorientierten Empfehlungsliste zu beziehen. Nicht jeder für sich. Sondern medial zentriert.
Warum also nicht ein mediales Dschungelcamp für die legitimatorisch eh fragwürdig zusammengesetzten Expertengremien unserer Republik, um öffentlich Zeugnis für ihre Welt, ihre Logik und ihre Empfehlungen abzugeben und mit den anderen Weisen unserer Nation über den Gehalt ihrer Gedenken zu streiten?
Ich weiß. Wir Deutschen als passiv-aggressives Volk mögen vordergründig keinen Streit, sondern bunkern ihn für anonyme Hinterzimmerstamtischgespräche in der Kneipe oder im realen Raum. Und Weisheit entfaltet nur in entsprechender Verkündigungsinszenierung ihren Wahrheitsgehalt. Doch in Zeiten gefühlter und somit inkorporierter Wahrheiten ist die Immunitätshaltung von Erleuchtungsträgern partizipationshemmend.
Gemäß Fish Bowl – Logik müsste es eine Trollfalltür geben: Derjenige, der am lautesten im Publikum schreit, wird auf die Teilnehmerbühne gebeamt und befreit einen Experten von seiner medialen Verteidigungsarbeit.
Und es müsste noch nicht mal laut zugehen im Camp der Superhirne. Eine Angelshow mit anschließendem Wettgrillen schenkt elegische Bilder mit Entspannung und Tiefenweisheit bei Weisheitsfischen auf dem Trüben.
Also, ich freue mich auf die neuen Dr. Best – Patenrezepte.
Sie auch?