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Liebe(r) konkret: Time to grill!

>>Originalfassung eines Artikels für die Kolumne des Fortschrittforums der Friedrich-Ebert-Stiftung e.V..

Deutschland im Vorwahlsommer 2013 – und endlich wird gegrillt. Doch während es für Profipolitiker um die Wurst geht und die Grillglut angeblich noch nicht mal für ein ordentliches Gaspatcho reicht, entdeckt unser Kolumnist Sven Schlebes und das vom Establishment oft so gescholtene Wahlvolk eine neue Art der Gemeinschaftlichkeit: ob freestyle, klassisch oder im Guerillastile. Gegrillt wird von vegan bis paleo, elektrisch und auf Kohle, wild oder geordnet im Garten. Doch hier geht’s eben nicht nur um die Wurst. Sondern vor allem ein neues Miteinander. Und das haben die Parteigriller unterm Schirm anscheinend immer noch nicht verstanden.

Wer im politischen Sinne aufs Grillfest geht, will vor allem eines: Stimmung machen. Draufschlagen. Fronten klarmachen. Alte Geschichten von den “Bösen da drüben” und “uns Guten hier” erzählen. Das schweißt zusammen. Das schenkt das überschwengliche Gefühl von Heimat, Aufgehobensein und Selbstwirksamkeit. Doch an Spielchen dieser Art haben immer weniger Menschen Lust. Angeblich ein Schock für das Establishment.

Gelehrte landauf, landab rätseln über die Ursachen. Zunehmende Komplexität, Ohnmachtsgefühle, Austauschbarkeit von Programmen und Enttäuschung der eigenen Partei gegenüber sind die alten Hüte der Verdrossenheitserklärbären. Hochaktuelll im Kurs: Die Supertaktik “der symmetrischen Demobilisierung” (Prof. Gerd ). Das Lied vom Ende des Kulturstaates im privaten Lilalaunekonsumtraum der Bundesbürger– immer gerne beschworen – taucht wieder auf. Sigmar Gabriel spricht gar vom neuen Zeitalter einer “Elitendemokratie” (http://www.welt.de/print/wams/politik/article118236040/Lasst-euch-nicht-kirre-machen.html). Doch das ist es doch längst. Es gibt, um mal im Politjargon zu sprechen, „die Menschen da draußen“ und „wir hier drirnnen“. Es ist eine Fishbowl-Veranstaltung. Nur ohne Personalaustausch. Im Glas schwimmen die übrig gebliebenen Goldfische und draußen, ja draußen schauen eben immer weniger zu, sondern veranstallten immer mehr ihre eigene Grillparty, um mal beim Anfangsbild zu bleiben. Selbst die Fische in der Fishbowl bleiben ungegrillt – es ist schlichtweg egal, was sie machen. Ich weiß: Es ist das Ende. Des Systems. Der Kultur. Unserer Demokratie.

Doch es ist nicht das Spiel, an dem die Menschen die Lust verloren haben. Es ist die Lust an den Menschen im Fischglas. Und die Lust an der Art, wie sie das Spiel spielen. Und das will sich nun wirklich niemand im Fischglas eingestehen. Daniel Friedrich Sturm hat erst kürzlich in einem Essay drei Politikerstereotypen herauskristallisiert: „Da ist der Provinzfürst, der geübte Parteipolitiker und der ambitionierte Technokrat.“ Und das sind nun wirklich nicht die ersten, die man beim Sport in sein Basketballteam gewählt hätte, freiwillig zu seiner Grillparty einlädt oder zu denen man ins Wasserglas steigt. Und so werden im laufenden Wahlkampf viele Kandidaten nicht müde zu betonen: „Ich bin einer von euch.“  Ein Bettelbrief für eine Einaldungskarte.

Der Wind hat sich gedreht und ein kulturelles Machtgefüge ist in Bewegung gekommen. Auch in unserer Geselklschaft. Noch reicht es nicht für einen wahren Frühling. Eher ist es Spätherbst: Die Ernte der erfolgreichen Demokratiegeschichte der Bundesrepublik wird eingefahren. Und das bedeutet, dass vor allem jüngere Menschen hoch engagiert und politisiert einfach Dinge angehen und umsetzen: in Vereinen, im Job, als Unternehmen. Aber vor allem: in neuer Gemeinschaft.
Sie haben verinnerlicht, was Markus Gabriel, Deutschlands jüngster Politikprofessor das Zeitalter des „neuen Realismus“ nennt: Wer verstanden hat, dass es die eine Erklärung nicht gibt, das eine Großsystem, der beginnt, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und gerne auch gemeinsam mehr zu erreichen. Aber sie nennen es nicht Politik. Sondern für sie ist es ein Lebensselbstverständnis. Sehr konkret. Keine Monstranzsonntagsreden (Einen guten Einstieg in das neue Selbstverständnis bieten www.engagement-mit-perspektive.de, www.ichwill.rockyourlife.de oder zum Beispiel die zahlreichen Krypotpartys). Wer sich traut, nicht im Morast der Furchtsamkeit  zu versinken und einfach mal anfängt, erlebt neue Aktions-, Lebens-, Arbeits- und Liebesgemeinschaften. Die EKD hat es mit ihrem Familienpapier begriffen, doch die Struktur- und Lebensweltkonservativen allüberall lehnen sich auf. Nicht, weil sich die Realität verändert hätte. Das haben sie längst hinnehmen müssen. Sie haben schlichtweg Angst, selbst fremd im eigenen Haus zu werden, nicht mehr abgeholt zu werden. Und dazu gehört leider auch auf vielen Ebenen der professionelle Politzirkus.

Aber auch hier besteht Hoffnung. Wenn die alten Illusionen zerplatzen, fühlt man sich etwas näher dran am echten Leben. Die Fishbowl ist zersprungen. Das ist befreiend. Erfrischend. Die einen klammern sich an die Scherben und verfallen meckernd in Depression. Die anderen lassen los und merken, dass sie sich mit uns anderen in einem neuen Fischglass befinden. Mindestens von der Größe einer Badewanne. Immer noch kein unendlicher Ozean. Aber eine etwas größere Dimension. Mit anderen Fischen. In einer anderen Umgebung. Es ist nicht die totale Politisierung. Aber es ist frisches Wasser für die perfekte Sommergrillparty. Während meiner Arbeit im Fortschrittsforum habe ich nur in einer einzigen Arbeitsgruppensitzung ein wirklich mutmachendes Statement vernommen – und man höre und staune: aus dem Munde eines Politprofis: „Wir sollten vielleicht wirklich überlegen, ob der Parlamentarismus der geeignete Rahmen ist, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.“ Vielleicht ist es Zeit, das System selbst zu updaten. Metafragen können eben doch nur auf einer Metaebene behandelt werden und nicht im konkreten Grassroutingalltag.
Der Sommer hat mir persönlich gezeigt: Die Menschen haben eh bereits begonnen, neue Formen des Miteinanders auszutesten. Im Kleinen. Denn hier funktioniert „being beta“ bereits, der Sommergrill raucht und die Mixed-Party zaubert allen Beteiligten ein breites Lachen ins Gesicht.

Wie gut, dass wir die Wahl haben, auf welche Party wir gehen.