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Liebe(r) konkret: Erzähl mir nichts!

>> Originalfassung eines Textes für das Fortschrittsforum. MIt freundlicher Genehmigung der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Angeblich. Mangels fehlendem Gesamtfeindbild bastelt das deutsche Feuilleton seit kurzem an einer neuen Frontlinie. Diesmal sollen sich Babyboomer und Generation Y gegenüberstehen. Die einen reich, bekannt und in Sicherheit. Die anderen arm, unsichtbar und auf der Straße. Endlich wieder ein gerechter Kampf mit klarer Kante. Doch ist der Kampf um die Spitzensozialressourcen der Weg in eine fortschrittlichere Welt?

Über ein Jahr lang haben wir im Fortschrittsforum debattiert und diskutiert. Nach der guten Vergangenheit gesucht. Vor allem der vor der Agenda 2010. Mit Oscar Negt und Jakob Augstein nach alten Frontverläufen, klaren Weltbildern und einer Politik der Alternative. Wir haben den Untergang der großen Utopien des ausgehenden 20. Jahrhunderts noch einmal so richtig beweint und uns dann auf die pragmatische Seite der Machbarkeit geschlagen. Wenn wir uns schon selbst keine Grenzen setzen wollen, dann tut es jetzt die Natur für uns, die seltenen Erden, die aufstrebenden Industrienationen, die Verflochtenheit der Finanzmärkte und die Ergebenheit von allem und jedem im globalen Netzwerk. Große Pläne haben – das war gestern. Heute gilt es, die „Indikatornwarnlampen“ auf Grün zu halten und auf Sicht zu fahren. Das ehemals idealistische Deutschland mit seiner schwärmerischen Tradition der Wahrheitssehnsucht ist endgültig im angelsächsischen Wunderland des situativen Pragmatismus angekommen. Die Maschine ist gebaut – es gilt lediglich Ersatzteile auszutauschen, die kritischen Stellen zu ölen, zu fetten und Grenzbereiche zu umgehen.
Wo der Mensch zum Risikofaktor wird, greift der Autopilot. Im Auto, an der Börse, auf dem OP-Tisch. Eine Generation, die dieses pragmatische Spiel mit der Macht und der Mechanik verstanden haben soll, sind laut ZEIT-Redakteurin Anita Blasberg die sogenannten Babyboomer. Immer jung und gerade innovationsfreudig genug, um im Sattel der Bewegung zu bleiben. Mit genug Sicherheitsabstand zu den Early Movern, die fallen und scheitern, um danach die geschlagene Bresche erhobenen Hauptes als Sieger durchschreiten zu können. Die Verlierer: Alle, die nicht im Sattel sitzen. Sondern als Fußvolk vor- oder hintendranlaufen. Stark genug, um mit zunehmenden Widerständen klar zu kommen und zugleich ängstlich und zu angepasst genug,um selbst in den Sattel zu steigen.

Da ist er endlich, der lang gesuchte Frontverlauf, unken jetzt schon die ersten. Das Lied, das eine entrechtete, weil nicht zur Geltung kommende Generation auf das Schlachtfeld des Lebens führen wird. Zum Wohle der Menschheit. Im Dienste des Fortschritts. Da jubeln alle, die nicht in den Satteln sitzen, weil sie nicht die richtige Bildung haben, das falsche Geschlecht, die falsche Herkunftsfamilie, das falsche Parteibuch, das falsche Alter, das schlechtere Freundschaftsnetzwerk. Eben alle, die auch mal wollen. Ob Generation Y oder eben nicht. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen. Ich rede hier nicht über Menschen, die keine faire Chance auf die Gestaltung eines selbstbestimmten Leben s erhalten. Ich rede über diejenigen, die Führungsansprüche erheben. Elite sein wollen.
Liebe Freunde, ist es ein Fortschritt, eure Hintern in die Sattel zu hieven und die anderen aufs Altenteil? Ist der Kampf um die Sozialressourcen zu eurem Vorteil der Fortschritt, den ihr euch vorstellt und für den wir alle kämpfen sollen? Seid ihr als Charaktere besser und interessanter als die aktuellen Graumännchen? Habt ihr eine bessere Geschichte, die ihr uns anbieten könnt? Eine Geschichte, die uns abholt, mitnimmt und begeistert?
Ok: Ihr siegt für eure Submilieumitglieder. Ich verstehe sehr gut, dass ein gelingendes Leben auch damit zu tun hat, dass die Wirklichkeit im Außen einen selbst bestätigt. Dass man genug Geld für ein sorgenfreies Leben hat: Gesundheit, Bildung, gesellschaftliche Partizipation und Freizeit inklusive. Auch wenn mal selbst nicht Chef oder Chefin eines Konzerns werden möchte. Aber man koennte es. Und die Gesellschaft, in der man lebt, ermöglicht es einem. Es ist der Zustand eines inklusiven, diversitykompetenten WIR. Ja, das ist ein Ziel. Aber das Spiel ist immer noch dasselbe. „Lean in“ nennt es Sheryl Sandberg. Weibliches Führen. Aber in Wahrheit ist es das alte Führen. Ich allein an der Spitze. Nur eben in Spitze. Wo wird erzählt, dass das neue Führen eine Vertrauensangelegenheit ist, ein Miteinander von vielen in einer Netzwerkgesellschaft? Wo verändert sich dieses Miteinander, oder gilt eben doch eins: Alles meins?
Ich will jetzt hier nicht das Lied einer Konservierung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse singen: „Dann kann auch alles so bleiben wie es ist.“ Das liegt mir fern. Aber warum sollte man morgens aufstehen und sein Leben für eine große „Transformation“ einsetzen, die letzten Ende nur einen mehr oder wenig versteckten Personalaustausch darstellt? Egomane alt gegen Egoman jung.

Wo ist die große Vision vom und fürs Fußvolk, der vielbeschworenen internationalen „Generation jobless“ (Economist) in einer sich radikal verändernden Welt, die auch mitspielen will? Jede Generation braucht ein Projekt, an dem sie sich abarbeiten kann. Identifizieren kann. Sich beweisen kann. So werden Identitäten gebildet: individuell und als Gruppe. Doch ein „Weiter so“ ist nicht nur ökonomisch und ökologisch höchst fragwürdig. Es zerstört auch die Selbstkreation und führt in die Dauernachahmung und einen Kampf um bestehende Sozialressourcen. Ein Kampf, der nicht wirklich erstrebenswert ist. Weil die Geschichten mau sind und die Charaktere ihre Qualität noch beweisen müssen.

Einverstanden: Die Geschichte vom Wohlstand und Erfolg für alle het eine enorme Zugkraft. Aber sie allein ist irgendwann auserzählt und verkommt zu einer Daily Soap. Mit fatalen Folgen. Denn wenn es dann mal wirklich ans Eingemachte geht wie in Griechenland und Zypern, fehlt den Machtmechanikern der Bezugsrahmen für eine lebenswerte Zukunft. So bleibt bei der Mission „Das Spiel am Laufen halten“ schnell der fahle Beigeschmack, dass es das verlängerte Spiel für die im Sattel ist. Und damit nicht unser Spiel.

Gefragt sind daher nicht einfach neue Reiterinnen und Reiter. Das Ziel der Reise, und sei es nur ein Etappenziel, ist in Zeiten des Pragmatismus der Weg. Viele sind bereits erörtert (In guter Gesellschaft; Intelligent wachsen. Die grüne Revolution), mit viel Gegenwartsbeschreibung, einem Schuss Vergangenheitswehmut und einer Prise Zukunftsmut. Pläne liegen bereit. Es ist genug zu tun. Doch das ist nicht die wirkliche Herausforderung. Es geht um’s Miteinander. Um’s loslegen. Und um eine gute Gesamtgeschichte, leicht verständlich, mit verdammt guten Charakteren. Einer Geschichte, die ruhig phantastisch sein kann. Angereichert mit schwarzem Humor (die pragmatischen Angelsachsen lassen grüßen). Möglichst vielen Kapitel, die einer vollkommen ineffizienten Logik folgen. Geschichten, die von schrägen Charakteren vorangetrieben werden. Die vor Überraschungen bersten. Sex und Liebe sollte natürlich auch drin vorkommen. Und etwas zu gewinnen sollte es auch geben. Das sind die Geschichten, für die es sich lohnt, aufzustehen. Weil am Ende immer das Gute siegt. Und alle sich wunderbar verstanden, abgeholt und unterhalten fühlen.

Vielleicht sollten die Machtmechaniker unserer Zeit und die Beschwörer des Generationenkonfliktes mal die ernsten Zeiten im Ernst alleine lassen und nur für zwei Stunden in den Film „NO!“ des Regisseurs Pablo Larrain eintauchen: Wer Menschen gewinnen will, zeigt nicht das Grau der Gegenwart, sondern das wunderbar Absurde einer Zukunft, die größer ist als das ängstliche Ich der Gegenwart. Und lebendiger als das politisch korrekt erdachte Zukunftsmodel von paritätisch besetzten Akademikergehirnzellen.

Kennen Sie noch den alten Streit zwischen „Trekkies“ und „Star Wars’lern“? Die einen liebten das saubere und politisch korrekte Dock der USS Entreprise auf Expeditionsreise ins Weltall. Die anderen schwörten auf das Spiel der Macht, tiefe Abgründigkeit und die Macht der Liebe. Die Kinder auf der ganzen Welt haben den Streit kulturunabhängig entschieden: Die Geschichte von Star Wars ist der universelle Blueprint für die Zukunft.

Sie lieben die aussergwöhnlichen Charaktere, das Abenteuer, das Großartige und: das Irrationale. Wie wär’s in der Rettung Europs nicht nur mit mehr „Aufklärung“, sondern parallel dazu mit einer groß angelegten Wiederverzauberung? Hoffen wir auf die Ritter der Kokusnuss, um endlich als Anhalter durch die Galaxis mitgenommen zu werden und der europäischen Fassung von „Ich heirate eine Familie“ neuen Schwung zu verleihen.
Für ein bisschen mehr Sex in the City.