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Nun leb‘ mal schön!

Lebenskunst im 21. Jahrhundert

>> Originalfassung eines Texte für das Magazin THEO. Katholisches Magazin. Ausgabe 03/2013. Mit freundlicher Genemigung des Verlages.

Diesmal geht es ums Ganze. Nicht um irgendeine Frage. Sondern um die ganz große: Um das Leben im Allgemeinen und seine Gebrauchsanweisung, die niemand mehr finden kann. Für Moraltheologen das Zeichen der allgegenwärtigen Katastrophe, für Theo und das Max-Haus-Düsseldorf der Ausgangspunkt einer neue Veranstaltungsreihe: LebenKUNST. Theo-Redakteur Sven Schlebes hat sich bereits im Vorfeld seine Gedanken gemacht über Gott und die moderne Welt.

Wenn’s ums Ganze geht, geht’s an die Grenze. Wer weiß das besser als Papst Franziskus, der als Losung für sein Pontifikat die Überwindung der eigenen Kirchenselbstreferentialität ausgegeben hat. An den Grenzen seine eigene Komfortzone zu verlassen und in Kontakt zu kommen mit einer neuen Mitte, die mehr tragen kann als das alte, kleine Ich. Ein heeres Ziel in weisen Worte von weisen Menschen zu allen Zeiten eingefordert. Um den Blick fürs Wesentliche zu schärfen und in Kontakt zu kommen mit dem Geheimnis des Lebens. Die schweigend mitkommunizierte Kehrseite der Botschaft: Wir Menschen haben uns im Unwesentlichen verloren und schwimmen im Banalen umher. Lebenskunst, wiederentdeckt und eingefordert in Übergangs- und Krisenzeiten, wird immer dann zum Thema, wenn das Leben zu entgleiten scheint. Also nicht das biologische Überleben. Sondern das kulturell definierte Leben. Wenn sich in unserer sogenannten menschlichen Sphäre die Grundkonstanten verändern, löst sich die bekannte Definition und damit Bestimmung unseres Lebens auf. Das Ergebnis: Wir beginnen zu schwimmen. Und das macht uns Angst. Besorgt suchen wir dann nach Menschen, von denen wir glauben, dass sie es drauf hätten. Die Sache mit der Lebenskunst. Doch die sind erstens schwer zu finden und zweitens nicht gerade sehr gesprächig. Denn ein sich selbst bewusstes Leben ist sich meist selbst genug, so dass leider echte Lebenskünstler nie genau sagen können, was denn jetzt das Geheimnis ihrer Lebenskunst sei. Und wenn sie es könnten, wären sie vorsichtig mit Patentrezepten.Denn kann man überhaupt Leben falsch leben?
„Gott liebt die Vielfalt“, betont die Frühjahrsausgabe des Franziskaner, „aber wir entscheiden, was sein darf“? In der Tat haben Lebenskunstdebatten immer dann Hochkonjunktur, wenn der Mensch persönlich oder gesellschaftlich sogenannte „Flip-Flop-Zeiten“ durchlebt: Eine alte Wirklichkeit vergeht, eine neue wird empfunden, aber die reale Welt atmet noch durch die Strukturen und Artefakte der Vergangenheit. Innere und äußere Wahrheit passen nicht mehr zueinander. Die Bestätigung für das eigene Leben und die innere Welt gelingt nur noch unzureichend. Alles gerät in Bewegung und wir fühlen uns überfordert. Was ist richtig, was ist wahr? Und was bedeutet eigentlich, ein gelingendes Leben zu führen? Für mich, meine Nächsten, als Teil der Schöpfungsgemeinschaft, Ebenbild und Partner Gottes? Die meisten von uns machen es wie die Schnecke. Wir ziehen uns ins Haus zurück und hoffen, dass der Sturm vorüber geht. Wir beschwören die guten alten Zeiten, die guten alten Tugenden, die guten alten Vorbilder. Aber es sind nur noch blutleere Ahnungen in unserer Vorstellungswelt. Und dieses Haus selbst zerfällt. Mühsam versuchen wir, möglichst lange die auseinanderfliegenden Teile unseres Selbstbildes zusammenzuhalten. Bis wir erstarren und erkalten oder vor Erschöpfung zusammenbrechen.
Dann erst kehrt Ruhe ein und es zeigt sich, was ist. Vor diesem Punkt graut es den meisten: „Und was, wenn da nichts ist? Meine schönen Bilder. Meine schönen Werte. Meine schöne Welt.“ Wohnzimmeridylle adé. Wenn wir wirklich Christen wären, wüssten wir tief in uns drinnen, dass unsere alte Welten vergehen müssen, um neuem, wirklichem Leben Platz zu machen. Wenn wir Christen wären, würden wir Liebe fühlen. Seine Liebe. Auch wenn er nicht dazusein scheint. Gegangen ist. Vor fast 2000 Jahren. Und uns zurückließ. Und: zurücklieben. In Hoffnung und Vertrauen auf das, was kommt. „Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, so daß auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so könnte das alles nicht genügen.“ (Hoheslied 8,6-7)

Das ist nicht unser Verdienst. Es ist unser Geschenk als Königskinder. Unser Erbe. Unser ureigenstes Talent. Sicher. Damit allein gewinnen wir kein Preisauschreiben, erhalten keine akademischen Würden, managen wir kein Unternehmen. Aber in der Hingabe lassen wir Leben zu. Leben, das größer ist als wir selbst und sich bestimmt nicht von uns in 10-Punkte-Plänen erfassen lässt. Das Geheimnis des Lebens ist in der Liebe zu finden. Von jedem Menschen in seiner ganz eigenen Art. Und niemand weiß, welche Formen sich die Liebe im Leben von morgen suchen wird. Nur eines können wir sicher sein: Es wird wunderschön. Freuen wir uns auf einen neuen Frühling und überlassen wir uns der Kunst des Lebens. Und der Liebe.

Foto: Edward Burne-Jones. Love among the ruines. [Public domain oder Public domain], via Wikimedia Commons