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Liebe(r) konkret: Richtig falsch!

>> Originalfassung einer Kolumne von www.fortschrittsforum.de

Schuld sein. Schulden machen: Wer in Tagen wie diesen gerne Neues schaffen möchte, sieht sich konfrontiert mit der Last der Vergangenheit und der quälenden Frage. „Was ist richtig? Was ist falsch? Bin ich am Ende dann schon wieder Schuld?“ Schluss damit, fordert unser Kolumnist und empfiehlt einen ganzheitlichen Schuldenschnitt.

 

Buchhalter mag ja eigentlich niemand so richtig. Sie sind äußerst korrekt und detailversessen. Und: nachtragend. Mindestens 10 Jahre bei geschäftlichen Unterlagen. Jedoch hält dieser Berufsstand unser gesamtes Kultursystem aufrecht. Er sorgt dafür, dass nichts verloren geht. Seine Doppelte Buchführung schafft Ausgleich, Transparenz und sorgt für Klarheit. Bis auf die letzte Stelle hinter dem Komma. Frist- und formgerecht. Und so weiß die Schuldenuhr des Bundeszahler der Steuerzahler immer genau, wie tief wir als Gemeinschaft alle in der Kreide stehen. Und das Finanzamt, wo und wie es jeden einzelnen von uns zum Solidarbeitrag für unser Gemeinwesen bitten darf. Eigentlich ist er damit nur ein neutrales Werkzeug. Er macht einfach nur seine Arbeit. Und doch nervt er uns. Sein Insistieren auf Belegabheftung und Genauigkeit. Vor allem, wenn es sich dabei nicht um finanzielle Dinge handelt, sondern um zwischenmenschliche Tatbestände. Verkorkste Beziehungen. Fehlentscheidungen. Schmerzen. Enttäuschungen. Denn die erfassen die sogenannten inneren Buchhalter von uns Menschen und Gesellschaften gerne. Seitenweise. Literarisch aufbereitet und in Stein gemeißelt. Doch wo bei den Finanzbuchhaltern die Doppelte Buchführung heilig ist, sind die Karmabuchhalter auf einem Auge blind: Das Schöne ist keinen Eintrag wert. Das Fazit: Die Schulden steigen unaufhörlich. Ein stinkender „Berg aus Dreck“ (Peter Fox. Alles neu) aus unbezahlten Rechnung. Und davon tragen wir alle eine ganze Menge herum. Das Schreckliche: Die meisten Rechnungen haben in der Tat ihre Berechtigung. Man schaue sich die aktuellen Debatten um den Umgang einer empfundenen Mehrheitsgesellschaft mit Minderheiten jeglicher Art an: Jeder fühlt sich im Unrecht und macht früher oder später seine Abrechnung auf: Menschen mit Migrationshintergrund, sozial Schwächere, Frauen, Lesben, Schwule, Alleinerziehende, Kindergärtnerinnen, Altenpfleger, Lehrer, Müllmänner. Und selbst die oft als „Alphatiere“ Gebrandmarkten schlagen zurück: Banker, Manager, Politiker, Wissenschaftler, Ärzte, Versicherungsmakler, Priester. Alle fühlen sich im Unrecht. Als Opfer der Umstände. Getrieben, geknebelt, gezwungen. Nicht genügend gewertschätzt. Ungesehen. Ungeliebt. Ungerechtfertigt abgefertigt. Entmündigt. Und so unbefähigt für ein gelingendes Leben – für sich und die anderen. Es gibt nur wenige Menschen, die von sich selbst behaupten, sie hätten im Vollbesitz ihrer geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Und damit auch fähig und bereit sind, die an sie gestellte Abrechnung vorzunehmen und ihre eigene Abrechnung vielleicht sogar fallen zu lassen. Das soll ihre Taten nicht rechtfertigen.Sie können furchtbar sein. Und doch sind das die Menschen, die ihren inneren Karmabuchhalter von der Einseitigkeit befreien können.und bereit sind für ein größeres Bild, dessen Schönschrecklichkeit sie ertragen können ohne durchzudrehen, sich aus dem Leben zu verabschieden oder den großen Showdown herbeizuführen. Leider gibt es von diesen sogenannten Verantwortungsträgern recht wenige Exemplare.Vor allem bei uns in der deutschen Gesellschaft, die aus transaktionsanalytischer Sicht immer noch gerne asymmetrisch diskutiert und lebt und damit nie wirklich erwachsen geworden ist: entweder trotziges Kind oder allesbeherrschendes Eltern-Ich. Ein Leben auf Augenhöhe findet da nur selten statt. Vielleicht ist es nicht gewollt. Vielleicht kommt daher auf uns eine große Welle des aggressiven Kulturkampfes zu: „Jetzt sind wir dran. Ruhe und Platz da!“ Wären wir in einem Hollywood-Streifen, ginge es um die Erhebung des Geknechteten gegenüber den Unterdrückern. Eine Braveheart-Nummer auf mitteleuorpäisch. Nur kann sich hier niemand in seine Highlands zurückziehen und seine eigene Freiheit total ausleben. Wir sind zum „Mit-Mensch-Sein“ verdammt. In jeglicher Hinsicht. Lange Zeit hatten wir Deutschen das ja auch immer alles unter Kontrolle. „Et läuft!“was hier jedoch immer heißt, dass man eben nicht mireinander lebt, sondern nebeneinander. Weil man – zum Glück – so wenig wie möglich miteinander in Kontakt gerät. Alles automatisiert. Und weil wir den echten Kontakt verlernt haben, artet jede Berührung in einen mehr oder minder großen Crash aus.

Da sind wir alle schuldbeladen schuldlos. Vielleicht geht das nicht anders. Vielleicht führt der Weg in ein gemeinsames WIR in der Tat nur über ein selbst erkämpftes und daher selbstbewusstes Ich, dass sich dann freiwillig mit anderen wiederum nach erfolgreichem Ringen in ein stärkeres WIR begibt. Ein spartanisches Braveheart eben.

So zumindest erzählen es die Geschichten unserer abendländischen Kultur. Durch Krieg zur Gemeinschaft. Alle Nationalstaaten wurden so geboren. In einem Bad aus Schweiß, Blut und Tränen.

Doch es gibt auch andere Geschichten. Die vom Krieger Ashoka zum Beispiel, der verstand, dass Krieg keine Lösung ist und Gemeinschaft in Frieden, Mitgefühl und Freiwilligkeit geboren wird. Oder die von Jesus Christus. Der gleich für einen großen Schuldenschnitt der Seele warb und das Loslassen der Toten. Vergebung nennt er das. Sich selbst und anderen. Doch diese Geschichten sind leider für die meisten von uns eben bloß Geschichten. Buchhalter wollen Zahlen, Daten und Fakten. Und Recht behaltenl. Aber  diese Rechnung wird nicht aufgehen. Zeit, sich anderen Big Stories zuzuwenden, die mehr vom Leben erzählen als von Formeln und mathematischen Gleichungen.

Hierzu müssten wir Menschen erst mal den Mut haben, erwachsen zu werden und uns der Größe des Lebens zu stellen. Mit all‘ seinen Unbekannten. Das schulden wir uns selbst, unseren Kindern, dem Planeten und dem Leben.

Ein echter Schnitt eben!

 Foto: Ashokas Queen. Abanindranath Tagore [Public domain], via Wikimedia Commons