Loading...

Projekt Schwarz-Rot-Gold

Originaltext eines Gastbeitrages für die Debattenplattform: www.hauptsache-magazin.de

Offiziell gehöre ich nicht dazu. Zur Generation der Babyboomer, die das Land der unerschöpflichen Möglichkeiten schufen. Zur Generation „Golf“, die den Traum strukturierten und für Karriereleitern optimierten. Und leider auch nicht zur vielbeschworenen goldenen Zukunftsgeneration „Y“, die alles anders machen wird.Angeblich. Ich bin 36, und damit ein Bewohner des gesellschaftstheoretischen Outer Rimp: Irgendwie dazwischen und doch am Rand. Wir haben den Mauerfall als pubertierende Jugendliche erlebt, Helmut Kohl war geliebtgehasster Allzeitvaterpategott und Technobässe ebneten unseren Weg über Erasmus in ein pulsierendes Europa. Doch „Bam Bam Bam“ (Westbam) sollte nicht nur die Leitmelodie für unsere Partys in Schaum, Love und Paraden werden, sondern auch für den dreifachen Zusammenbruch des Mythos vom Ende der Geschichte (Francis Fukuyama): Internetblase 2001 (und nachfolgende Finanzkrisen ab 2007), 09/11, Fukushima 2011.
Wir, das sind eigentlich Crashkids. Also die, die die Erschütterungen an sich heranliessen und damit begannen, nachzudenken, anstatt in das Projekt Rente zu investieren, wie uns von unseren Karriereberatern aus den Stiftungen immer wieder an Herz gelegt worden ist.

Irony ist over
Bevor ich Crashkid wurde, herrschte das Zeitalter der Postmoderne. „Anything goes“ war unser Motto: eine E-Mail-Adresse, ein Handy, eine Geschäftsidee – und damit eine fiktive Million auf der Kante. Es war die Zeit, als junge Literaten ganze Discohallen füllten, um aus ihren Büchern vorzulesen. Popliteraten wurden sie genannt. Und während wir mit unseren ersten ratensubventionierten Mobilfunkverträgen noch die globale Freiheit austesteten und von einem dem angeblich internationalen Studiensystem angepassten Bachelor- und Mastersystem an den Unis träumten, riefen sie uns als Deutschlands erste Bore-Out-Apologeten zu: „Irony ist over. Bye. Bye.“
Damals verstand ich nicht, was sie uns sagen wollten. Vielmehr war ich sauer, dass sie unsere schöne neue Welt der Jahrhundertwende als hohl entlarvten und sich aus Mangel an Zukunftsideen in die bewusst inszenierte Welt der sich selbst zitierenden und reloadenden Popkultur zurückzogen. Doch sie sollten Recht behalten.Eine Geschichte ist zu Ende gegangen. Und mit ihr das grundlegende Erzählmuster, das die Wirklichkeit ordnet und einteilt in richtig und falsch. Aber wir Menschen wollten das Schlusskapitel nicht lesen. Wir sind aus der Geschichte ausgestiegen und haben das Buch zugeklappt. Doch Untote haben leider eine sehr unschöne Angewohnheit: Sie bleiben nicht unter der Erde, sondern erwachen und stürzen mit uns gemeinsam in dunkelste Nacht. Und diese Nacht will einfach nicht enden.

Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.
Warum ich das alles erzähle? Weil es eigentlich der Job von uns Crashkids gewesen wäre, in den letzten zwölf Jahren ein neues Geschichtenmuster zu erfinden. Eines, das Sinn macht. Das uns verbindet. Zur Potenzialentfaltung befähigt. Glück schenkt. Verzauberung. Und: Abenteuer. Nur wir wären dazu in der Lage gewesen. Denn uns ist die alte Wahrheitsdecke vom Leib gerissen worden, während sie bei unseren Eltern und Großeltern bereits mit dem Körper fest verwachsen ist. Wären wir erfolgreich gewesen, hätte der neue Epos der Heldenreise schon längst begonnen. Die Mission wäre klar, das Heldenteam hätte sich zusammengefunden und die ersten Mentoren warteten auf dem weißen Pferd im Morgengrauen auf dem Weg zu wahrhaft goldenen Zeiten (Vgl. das psychologische Muster der „Heros Journey“). Doch wir haben zu lange in den Scherben unseres alten Weltbildes (Sloterdijk: Spähren und Globen) getrauert und die Wunden geleckt, anstatt uns auf den Weg zu machen. Vielleicht haben wir auch einfach auf jemanden gewartet, der uns an die Hand nimmt und uns den Weg zeigt. Jemanden, der freundlich ist, mitfühlend, unterstützend, ermutigend, das Ziel vor Augen hat, um unsere Schwächen weiß und trotzdem mit uns geht. Einen Servant Leader mit Tribal Leadership-Qualitäten. Am besten hätte er einen allwettertauglichen Bus gefahren. So würden wir alle die Aussicht genießen, mit einem Drink in der Hand, fernab von Wind und Wetter und auf das neue All-Inklusive-Ressort warten.

Tun wir aber nicht. Die meisten von uns warten immer noch auf den Bus, manche kleben gar die alten Scherben wieder zusammen, kriechen zurück in ihre alte Sphäre und bekämpfen aus Angst vor einem erneuten Zusammenbruch jedes noch so laue Veränderungslüftchen.

Gesagt ist halb gewonnen. Und halb verloren.
Eines können wir Crashkids: Reden. In Dauerdiskursen und in ständiger Versicherung der situativen Selbsterkenntnis. Ohne Annahme und Katharsis, versteht sich. Denn dann wären wir ja schon lange auf der Reise. Und so war ich in den letzten Jahren Teilnehmer mehrerer Gesprächsrunden. Immer auf der Suche nach der Zukunft. Nach einem Traum, der uns Menschen verbindet. Der sich durch uns Verwirklichung sucht und das Leitmuster bildet für unsere neue Geschichte. Ich durfte mit vielen Menschen sprechen. Aus allen Generationen und Sozialmilieus. Und das Ergebnis ist so erschreckend wie belanglos: Einen großen Traum gibt es nicht. Die einen haben Angst, abzugeben. Das sind die Depardieus dieser Welt. Die anderen haben Angst, abzusteigen. Die Soziologie nennt das das Mittelschichtstrauma. Wieder andere haben Angst, nicht nach oben zu kommen. Nicht Teil zu sein. Das sind die sogenannten Exkludierten. Aus welchen Gründen auch immer. Und ganz andere haben sogar Angst um die ganze Welt und ihren Gesundheitszustand. Auch wenn die Wirtschaftszahlen des zurückliegenden Jahres offiziell eine glänzende Sprache sprechen: Wenn es einen neuen Traum einer Generation geben sollte, dann ist er aktuell fest in der Hand einer diffusen, allumfassenden German Angst. Auch wenn niemand es zugeben will. Denn von außen gesehen sind wir auf dem besten Weg: Change ist in aller Munde. Aber eben auch nur dort. Wie der Zukunftsforscher Harald Welzer nachweisen konnte, sinkt mit steigender kommunikativer Themenbeschäftigung die tatsächliche reale Themenbehandlung. Wir reden zwar über alles, speichern aber dann im Kopf das Gesagte als Getan („Das können dann auch ruhig andere machen.“) ab und wiegen uns in Sicherheit. Das Ergebnis: Diskurse allerorten. Aber wir kommen nicht wirklich an das Ende der Geschichte, geschweige denn an den Beginn einer neuen. Und das Traurigste ist: Es existiert noch nicht mal ein richtiges Wir. Im Schlusskapitel geht jeder Held seinen eigenen Weg und verliert sich im Gewirr der Unterweltsgänge: Lost in translation.

Mitten im Netz. Aber ohne doppelten Boden.
Laut Organisationspsychologen sind wir auf dem Weg in eine Netzwerkgesellschaft: Mit den großen Geschichten haben sich auch die großen Hierarchien und Strukturen aufgelöst: In der Gesellschaft, in Unternehmen, in Sozialverbänden wie Familien, und: in uns selbst ebenfalls. Wer weiß schon, wer bei sich selbst tief drinnen das Spiel des Lebens spielt? Was treibt mich an? Was gibt mir Sicherheit? Wo bin ich verankert? Das Schöne an der neuen Netzwerkgesellschaft ist: Einen richtigen Chef gibt es nicht mehr. Weder da draußen noch in mir drinnen. Ich, das ist ein Schwarm. Eine Vielzahl von Stimmen und Möglichkeiten. Und das Gleiche gilt auch für Gemeinschaften. Tendenziell kann jeder alles. Muss jeder alles. Eine neu gewonnene Freiheit. Die den Preis der Beziehungsverflachung zahlt – wenn wir auf Quantität setzen (Jedem sein Komplize). Oder den Preis der Beziehungsvertiefung: Wenn wir auf Qualität setzen (Echte Partnerschaft. Echte Begegnung. Echte Verwandlung). Das setzt aber eine Entscheidung voraus: Sich für etwas zu entscheiden. Zeit zu geben. Einzusetzen. Gemeinsam zu reifen.

Am Wir zum Ich werden
Fest steht: Wir sind verdammt, mit anderen in Berührung zu kommen. Denn die Zeit, in der wir uns in einer fest definierten Rolle verstecken konnten, ist vorbei. Klar, dass das nicht immer angenehm ist. Denn die meisten in unserer Elterngeneration standen nicht so auf Ringelpietz mit anfassen. Um einander zu begegnen, musste man schon kollidieren. Wir aber haben weder Zeit noch Kraft noch Geld noch Lust für aufwendige Defensivmaßnahmen, sondern wollen voran. Wir wollen das Beste in uns zum Ausdruck bringen. Auch wenn wir heute noch gar nicht wissen, was das ist. Aber das ist doch das Schöne: Einmal nicht Malen-nach-Zahlen zu spielen, sondern mit einem neuen, weißen Blatt anzufangen. Auch wenn das weiße Blatt in Wirklichkeit in einer langen Abfolge von bereits beschriebenen Blättern steht, deren darauf verfasste Geschichte einiges bis vieles determiniert. Aber das neue Blatt wird in einem neuen Bewusstsein gefüllt. Nicht einfach nur so, wie man es früher gemacht hat. Sondern entschieden anders.

Diese neue Kreation ist ein Gemeinschaftsakt. Inklusion nennen das die Wissenschaftler – ein aktives Miteinander-Großwerden: unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Generation, sexueller Ausrichtung, körperlicher Verfassung oder sozialem Milieu. Und es könnte das Großprojekt einer neuen Generation werden: eine neue Gemeinschaft zu kreieren, in der alle an der Gesellschaftsorganisation teilhaben können (technologischtechnische und sozialtechnische Partizipation) und sich aus einem Nebeneinander ein echtes Miteinander entwickelt, vielleicht nch der notwendigen Zwischenstufe eines erneuerten „Deutsch-Seins“ auch ein neues „Europäisch-Sein“.
Dies setzt jedoch die gegenseitige Annahme und Wertschätzung voraus sowie die Bereitschaft, sich zu verändern und in einer neuen Kultur mit aufzugehen. Denn der Weg zum Wir führt über starke Ichs, die verstanden haben, dass gemeinsam mehr funktioniert.

Eigentlich eine Hoffnung, die man mit der Generation Y verbindet. Doch die neuen Untersuchungen von großen Unternehmen zu den Einstellungskriterien gerade bei Berufsanfängern lassen Zweifel aufkommen am Zug der neuen Zeit: Aufgespreizt in dem Wunsch nach Selbstverwirklichung, Sinn und Freiheit auf der einen Seite und Sicherheit, Ordnung, Struktur und Karriere auf der anderen Seite verfallen viele Yer in den Pragmatismusmodus und entscheiden sich vor allem für letzteres. Um überhaupt erst einmal ins Spiel zu kommen. Mitmachen zu dürfen. Eine Hoffnung zu haben.

Eine Entscheidung mit Folgen: Schon argwöhnt die aktuelle Führungselite dem medialen Ruf nach Veränderung als Machtticket der nachrückenden Garde und beginnt mit einem systemisch-mentalen Roll-Back unter dem Motto: „Von wegen mit der Jugend zieht die neue Zeit. Seht her: Die Jungen wollen ja gar nicht anders sein als wir. Alles nur eine Luxusakademikerdebatte.“

Das aber würde bedeuten, dass wir uns wirklich auf eine überalterte Gesellschaft vorbereiten können: Wohl gebildet mit Zertifikaten aber kulturell im Schlafmodus der alten Geschichte eingerostet.

Das wirklich Neue, so prophezeit es der Kulturwissenschaftler Byung-Chung Han, zeigt sich nur demjenigen, der bereit ist, sich dem gänzlich Anderen hinzugeben. Wir müssten zulassen, dass das unbekannte Leben uns findet. Und nicht wir ständig das alte Ich. Die alten Lösungen. Die alten Muster. Die alten Versprechungen.

Loslassen, um in Kontakt zu kommen. Einfach den bereits eingeschlagenen Wegen folgen und vertrauen. Das Einzige, was wir in der Hand haben, ist, wie wir in diesen First Contact hineingehen.
Also ich als Crashkid habe mittlerweile wieder Schmetterlinge im Bauch. Auch wenn uns die anderen dafür als pubertierende Spinner abtun, denen das Blick fürs Reale abhanden gekommen sei. Aber das wissen wir: Dafür haben wir nun lange genug gearbeitet, um eure alte Verhinderungsgeschichten der Realität zu identifizieren, zu einem Ende zu führen und neu zu beginnen. In aller Stille. Umgeben von allen Ängsten. Die aber nicht mehr handlungsleitend sind. Damit sind wir bereits durch den Sturm gegangen. Und können sagen: Es gibt ein Leben danach. Und es ist echter, intensiver, dichter, näher: Aus der Vollglas-VIP-Loge im Stadion mitten auf’s Spielfeld. Da, wo wir hingehören. Damit das Spiel ein voller Erfolg wird, brauchen wir euch Yer. Auf dem Rasen. Um aus dem alten Existenzkampf des Absoluten ein sportlich-leidenschaftliches Ringen von Gleichberechtigten7 zu machen.

So wird aus dem Dunkel der Nacht erhitzt durch echte, glutrote Leidenschaft eines neues, goldene Wir.8

Willkommen im Projekt Schwarz-Rot-Gold.