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Byun Chul Han’s neuer Revitalisierungsessay „Agonie des Eros“: Gottes Lust tötet. Deinen Tod.

Angeblich ist das gemeine Wort der Kommunikation tot. Und mit ihm das kommunizierte und sicher geglaubte Leben. Da sind sich die meisten Philosophen einig: Gestorben durch den inflationär-virtuellen PR-Verkaufs-Gebrauch. Begraben mitsamt allen hochdekorierten Printblättern. Und hinabgestiegen in das Reich des bedeutungslosen Dauerinformationstodes. In ein Reich, in dem es nichts Unbekanntes mehr gibt. Neongrell durch Theorie und den Verstand ausgeleuchtet. Alles ist bekannt. Alles wissenschaftlich seziert. Auf der Suche nach dem Leben, der Heiligkeit, dem Zauber. Doch die Neu-Gier des Verstandes hat nach Gott nun auch das Geheimnis des Lebens getötet. Endgültig. Und mit ihm auch die Lebendigkeit.
Aber wer Vampirromane kennt, weiß, dass genau dies das Schicksal innerlich leerer Wesen ist: Das zu töten, was sie wahnsinnig lieben und aufsaugen.

Das Ergebnis: Nirgendwo findet sich mehr ein Niemandsland, das in seiner unerkannten und unbekannten Andersartigkeit auf seine Entdeckung harrt. Das lebendige Andere gibt es nicht mehr. Wir „Alles-Wisser“ haben es uns angepasst. Verglichen. Und damit vernichtet. Das Leben, das immer mehr ist als wir selbst, existiert damit nicht mehr. Was wir begehren, ist unser eigenes Abbild. Und das ist schaler Narzissmus. Aber kein echtes Begehren mehr, das seine Lebendigkeit aus der Faszination mit dem Dunkel des Unbekannten bezieht. Es herrscht ein Zustand der Apathie. Der Verwirrung und der Agonie des Eros.

Eigentlich bleibt Berlins Vorzeigekulturwissenschaftler Byun Chul Han, einem der führenden Apologeten beim Abgesang auf die kreative Potenz der postmodernen Gesellschaft selbst dann nur eines: zu schweigen und sich mit Dunkelheit zu umhüllen. Um in der Vertraulichkeit der intimen Begegnung mit dem ganz Anderen, das eben nicht wissenschaftlich durchleuchtet und als „Ich-weiß-es“-Artefakt angeeignet worden ist, die Wiedergeburt vorzubereiten. Einer Sprache, die die Taubheit der Müdigkeitsgesellschaft jerichotrompetengleich zerreisst und Geburtskokon ist für eine neue Wirklichkeit. Für neues Leben. Denn an jedem Anfang steht bekanntlich das Wort.

Doch das tut Byun Chul Han nicht. Denn er ist ein Mann des Wortes, er veröffentlicht einen philosophischen Essay nach dem anderen und macht es damit den von ihm selbst angeprangerten Kreuzigern des Eros und des Lebens gleich. Er analysiert in bester heideggerscher Art und sucht nach Verständnis für einen Zustand, der ihn selbst ergriffen zu haben scheint: der Kraftlosigkeit.

Vielleicht sind seine Essays ja seine ganz eigene Art, um ganz vorsichtig die bedeutungs- und leblose Dauernähe der Kommunikationsgesellschaft zu durchbrechen und wieder in Kontakt zu kommen: mit dem ganz Anderen, das eben nicht nur bekannt anders ist. Sondern unfassbar anders: Für das Herz. Und erst recht für den Kopf mit seinem dauerstressenden Verstand.

Doch spätestens an dieser Stelle hätte Han den Kopf ausstellen müssen und den Körper sprechen lassen sollen. Hätte er es Ernst gemeint mit seiner Phänomenologie des Anderen. Doch aus Han’s Aufsatz und Lebensweise selbst spricht der Graf Dracula unserer Neonwelt: Die Angst vor dem Leben. Und dem Tod. Denn Han hat sich physisch vollkommen zurückgezogen. Er verweigert Interviews und besonders Fotografien. Es ist der technisch-distanzierte Aneignungstrieb des modernen Homo-Faber, dem er sich zu entziehen sucht. Ermüdet vom Zwang zum bloßen Leben mit seiner Anhäufung von Produkten, Weisheiten und Voyeurserlebnissen ohne echte Berührung macht sich Byun Chul Han schreibend auf die Suche nach dem absoluten Ende. Der Beliebigkeit. Der Müdigkeit. Der Depression. Und damit auch dem absoluten Anfang. Eines neuen Lebens. Eines ganz anderen.

Doch so wichtig sein Aufsatz auch ist. So erhellend seine Todeskampfdiagnose für den Eros. Er schreibt sich an der Katharsis vorbei. Denn er lässt sich eben nicht in den metapyhsischen Abgrund fallen, der seine philosophischen Diskursregeln zerreisst und pure Lebendigkeit in Form von Kreativität zum Vorschein bringt. Han bleibt Philosoph. Bis zum Schluss. Und damit ein von ihm selbst so verachteter Überlebender, der nicht den eigenen Tod in der erotischen Begegnung mit dem ganz Anderen wagt, um wiedergeboren zu werden. Sondern er behält die diskursive Oberhoheit. Bis zum letzten Satz. Dadurch wird er selbst nicht zu einem Anderen. Sein Schreiben diagnostiziert, vergewissert und räumt auf. Aber es macht einen Bogen um das irrationale Chaos, aus dem sich neues Leben speisen könnte. So wertvoll seine Gedanken auch sein mögen. Den letzten Akt Begegnung mit dem, was nicht verstanden worden ist auf Seite 67 muss der Leser selbst machen. Das Buch zuklappen und das werden, was wir heute am meisten fürchten: Mensch. Unbegreifbar anders. Denn das wäre – Jesus Christus hat es vorgemacht – die Heimat der Heiligkeit. Das Ende des kleinen Ich und seiner depressiven Agonie. Und der Beginn von Gottes Reich. Es hat schon immer auf uns gewartet. Viel mehr. Es hat uns unendlich begehrt und geliebt. Damit wir so sein können, wie wir sind. Gott ähnlich. Und doch ganz anders. Wie wunderbar.

Und dafür kann es dann in der Tat nicht genug Worte geben.

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Byun-Chul Han.
Agonie des Eros.
Matthes & Seitz Berlin 2012
10 EUR

Byung-Chul Han, geboren in Seoul, lehrt seit dem Wintersemester 2012/13 an der UDK Berlin Philosophie und Kulturwissenschaft. Han veröffentlichte zahlreiche Bücher, zuletzt Müdigkeitsgesellschaft, Topologie der Gewalt, Transparenzgesellschaft und Agonie des Eros.

Originalfassung einer Buchbesprechung aus Theo 06/2012. Katholisches Magazin.

http://www.theo-magazin.de