Loading...

Konkretomat: Love in pink!

// Original einer Auftragsarbeit. Mit freundlicher Genehmigung von: www.fortschrittsforum.de

Gemeinschaft lebt von der Lust auf das Andere. Wo sie fehlt, verkommt das kraftvolle Mitinander zur effizienten Vernunftbeziehung und führt zum Leben Light auf 10%. Das bringt Ruhe in den Alltag. Aber es ist eine Friedhofsstille. Zum Schreien – findet unser Kolumnist Sven Schlebes.

Als Kind unserer Zeit bekomme ich jeden Tag Anrufe. Werbeanrufe. Mit Vorliebe von 8/9tel toten Printmagazinen. Um die Auflage für die Anzeigenkunden zu steigern. Für das Begräbnis erster Klasse und noch dreissig Branchenauszeichnungen, die du dir als arbeitsloser Journalist dann zuhause an die Wand hängen kannst. Als Leser bekommst du vorab aber nochmal drei Monate kostenlos Unmengen an Papier, inklusive Prämie. Meine letzte: eine pinke Armbanduhr im Blingbling-Look. Ein Billigfake made in Fernost. Meine Frau fand sie zu affig. Was sie damit für mich zum Begehrobjekt adelte. Zum Glück war meine businesskompatible Manufakturlederarmbanduhr mit 2000jähriger Unternehmenspräzisionsgeschichte verwoben im sanften Ticktack gerade in der Reparatur. Selbstverständlich ein Garantiefall. So dass mein Handgelenk für eine Woche eine 15-Cent-Uhr in Pink zieren sollte. Und meine Eintrittskarte wurde in die Wunderwelt der Diversitykompetenz unserer postmodernen Gesellschaft.

Montagmorgen. Treffen mit dem Head-of einer Dax-notierten Stabsstelle. Sonderthema: Diversity. 60 Minuten als PPT-Show. Kernthema: Die Internationalität der White-Collar-Belegschaft im Gegensatz zur angeblichen Milieumonokultur auf dem regional gebundene Produktionssektor. Die Kernentwicklungsthese: Mehr Mut zur Offenheit im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen. Als ich am Ende des Vormittages mit dem Vortragenden das Gebäude der Toleranz verließ, fiel sein Blick auf meine Aboprämie. Woraufhin er mich mit den Worten auf die Straße entließ: „Herr Schlebes, das nächste Mal kommen sie bitte aber wieder mit einer richtigen Uhr. Sonst wird das nichts hier mit uns.“

Bis vor fünf Minuten waren wir noch ein Wir. Er, ich, die Anderen. Auf der Stahl-Glas-Bühne mit High-Tech und Regional-Bio-Häppchen. Wir alle waren eine Gemeinschaft. Und dann kam das pinke Etwas, das unverschämter Weise unter dem Maßhemd in Gebrochen-Weiß hervorlugte. Und aus dem Gleich-Anders der Anwesenden wird ein Anders-Anders. Und das geht nun mal gar nicht. Diversitykompetenz hin oder her.

Als ich wieder nach Hause kam, lag ein Buch vom Kulturphilosophen Byung-Chul Han auf dem Tisch: Die Agonie des Eros. Meine Frau hatte es mir hingelegt. Wir hatten uns am Vorabend heftig darüber gestritten, dass wir ja eigentlich so unterschiedlich seien. Und ob das denn nun vielleicht doch noch mal was werden sollte, mit einer klaren Gemeinsamkeit. Und der Zukunft. Und überhaupt. Und nun lag da Han. 30 Minuten später war klar, warum. Er auf dem Tisch und ich im Bett bei meiner Frau. Han’s Theorie: Die Unfähigkeit der dauergebildet-verkopften Informationsgesellschaft, mit dem absolut Anderem umzugehen. Ihn in seiner Andersartigkeit ohne jeglichen Akt der anpassend-gleichmachenden Einverleibung stehen zu lassen, gelten zu lassen und mit ihm eine Beziehung aufzubauen. Eine staunende, eine bewundernde, eine begehrende, eine lebendige Beziehung. Das Ergebnis der diagnostizierten Unfähigkeit: ritualisierte Begegnungen ohne leidenschaftlichen Tiefgang und wirkliche Überraschung. Oder auf Svendeutsch: Händchen-Halten am Elternkaffetisch mit Etagere anstatt schmutzig-ehrlichem Sex. Das Einlassen auf das Andere, das gänzlich Andere, beschwört einen starken Eros, der die Depression besiegt und das Leben bringt. Was für ein Glück, dass meine Frau und ich so anders sind.

Innig erleuchtet erkor ich noch in der Nacht meinen pinken Begleiter zum neuen Facebook-Profilbild. Als Sinnbild einer Alles-wissenden-aber-nichts-lebenden-Zeit. Eben Billig-Fake für 19 Cent. Zutiefst befriedigt schlief ich ein. Am Morgen danach hatte ich unzählige E-Mails im Postfach. Ob ich denn nun vollkommen durchgedreht sei und eine völlig gespaltene Persönlichkeit Maulaffenfeil halten würde. Noch unsicher ob meines neuen die Agonie des Alltags durchstoßenden Erospotenziales wechselte ich wieder auf ein offizielles Hochglanz-PR-Bild. Und bekam prompt Zustimmung: „Genau so soll das sein. Lass das mal. Das finden wir toll.“ Menschen und ihre Bilder.

Am Nachmittag traf ich mich dann mit einer Vertreterin einer Migrantenvertretung. Sie schob mir bei der Begrüßung sofort den linken Hemdsärmel nach oben und strahlte beim Anblick meines pinken Begleiters. „Jetzt weißt du, warum ich bei den Migrationsrunden mit den anderen Verbänden und der Politik immer so verzweifle. Jeder will so bleiben, wie er ist. Niemand will wirklich mit dem anderen in Berührung kommen. Begegnung ist hier draußen auf der Straße genauso wie im Unternehmen der minimalste Konsens. Und das heißt immer: Leben unter 10%.“

Als wir im Fortschrittsforum über einen möglichen Deutschen Traum nachsannen, kam gerade von vielen jungen Mitgliedern die Sehnsucht nach einem neuen Miteinander zum Ausdruck. Ehrlich, Offen. Respektvoll. Auf gleicher Augenhöhe. Freudvoll. Doch auch wenn die meisten Experten unsere Agoniediagnose der deutschen Momentgesellschaft mit einem rüden „So-ist-das-nicht-in-diesem-Vorzeigeland“ vom Tisch wischten, verstehe ich immer mehr, wie weit wir alle auseinander sind von einem wirklichen Miteinander. Jeder von uns möchte in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen, gesehen, akzeptiert, verstanden und vielleicht sogar geliebt fühlen. Denn das ist wahre Heimat. Dieses routinierte Nebeneinander dagegen, in dem wir uns alle verfangen haben, das ist ein verfluchtes Niemandsland, das einer Systemeffizienslogik gehorcht und getreu dem naturwissenschaftlichen Credo Leben als Folge von logischen Ursachen definiert.
So mag man vielleicht kinderlosen Paaren per Petrischalenbehandlung zum biologischen Nachwuchs verhelfen, aber niemals eine Kultur des Miteinanders, der Familie schaffen.

Wissen Sie, womit ich gerade am meisten Geld verdiene? Dass ich für Unternehmer den Mitarbeitern erzähle, dass sie sich doch mal im Unternehmen als ganze Persönlichkeit einbringen sollen, um alle Talente entfalten zu können. Gefragt sind dabei aber nur monetär nutzbringende Kompetenzen. Der dreckige Rest der Persönlichkeit kann doch bitte als private Marotte ausgelebt werden. So werden aus ganzen Menschen dann wirklich gespaltene Persönlichkeiten. Marktlogik sei dank.

Leben ist Lust. Auf den Anderen. Ihn wiederzuentdecken und mit ihn über den Homo-Faber-Status hinaus wirklich in Berührung zu kommen, das ist eine der Hauptaufgaben unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft.

So let’s make love in pink. Not just systems in grey.