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Der Seelenwäscher

Dirk Martens hat eine Aufgabe: Flecken zu entfernen. Deshalb hat er ein Geschäft: Freddy Leck sein Waschsalon. Doch mitten in Berlin-Moabit waschen nicht nur seine 20 Mielewaschmaschinen gut, sondern Martens tut es ebenfalls: die Seelen seiner Kunden.

In der Bibel ist Moab die Heimat lüsterner Frauen und Kriegsgottanbeter am Toten Meer. In Berlin liegt Moabit an der Spree und bietet seit jeher Flüchtlinge aus der ganzen Welt ein neues Zuhause. Manchmal waren es religiöse Gründe, die sie zum Aufbruch trieben wie bei den Hugenotten. Manchmal ethnische wie heute bei den Roma und Sinti. Und manchmal eben auch bloß persönliche wie bei Dirk Martens. Denn der ist eigentlich Pottler, wie er selbst so schön sagt, und im Herzen Pariser. Aber das Ruhrgebiet ist seine Vergangenheit. Zum Glück. Und die Stadt der Liebe seine Zukunft. Noch. Bleibt die Gegenwart, und die findet für den Self made Kaufmann mit Herz in Berlin statt. Gott sei Dank. Denn was für Aussenstehende wie das Lebenswerk eines Gescheiterten aussehen mag, ist für die Menschen im sogenannten Berliner Problemkiez am Tiergarten ein echter Segen: ein Waschsalon im Wohnzimmerstyle der 70er mit angeschlossener Mietküche. Und: dem Team von Freddy Leck. Denn die sind von sieben Uhr in der Früh bis Mitternacht nicht nur für die dreckige Wäsche da, sondern eben auch für die Sorgen, Nöte und Geschichten ihrer Träger. Wenn sind denn wollen. Denn die einen buchen das Wäschevollprogramm: Einmal Waschen, Trocknen, Falten ohne Socken bis zum nächsten Tag für nur 9 EUR. Und die anderen machen alles selbst für 3,50 EUR und buchen Freddy für ’nen Kaffe und ein vertrautes Gespräch. Bis zu 12 Personen finden am Holztisch und am Fenstertresen Platz, um zu warten und über das Leben nachzudenken, das zeitgleich in einer der hochmodernen Mielewaschmaschinen aus ihren Klamotten gewaschen wird. Garantiert rückstandsfrei. Mit extra Weichspüler. Wenn gewünscht. Und mit Freddy’s offenem Ohr für die eigene Geschichte. Den meisten reicht das schon. Erleichtert und mit sauberer Wäsche geht’s dann nach 90 Minuten wieder raus aus der Stille in das Alltagsleben. Manchen aber eben nicht. Und denen hilft Freddy dann auch persönlich weiter. Mit etwas Warmen für den Bauch und die Seele. Dass in diesem Wunderwaschsalon auch Persönlichkeiten wie Nelson Mandela, Mutter Theresa, die Königin Queen Mum oder eben auch die Mutter Gottes zumindest ikonografisch zu Hause sind, stört hier niemanden. Von Fotos, Bildern und aus Statuen schauen sie den Menschen beim Waschen zu und schenken Ihnen ein Lächeln. Denn wie der Besitzer des Waschsalons kennen sie ein Leben in Ängsten, Sorgen und Nöten und wissen um die Wichtigkeit einer inneren Heimat. 11 mal ist Freddy Leck während seiner Schulzeit umgezogen. 5 Scheidungen seines Vaters hielten die Familie auf unruhiger Wanderschaft und ewiger Suche nach ein wenig Halt. Seine Geschwister suchen bis heute: Freddy Leck fand die Mutter Gottes. Und hat sie seitdem nicht mehr verlassen. Als er nach seinem ersten gescheiterten Waschsalonversuch in Köln hier in Moabit noch einmal eine Neuanfang wagen wollte, warnten ihn seine Freunde vor der säkularen Stadt, dem Geschäftsmodell und seinem Willen, Maria öffentlich mit in sein Alltagsleben einzubeziehen. Doch siehe da: Alle Scheiben sind heil geblieben und es sind vor allem Menschen mit arabisch-muslimischen Wurzeln, die Freddy und seine Mutter Gottes lieben und ihn über die Kiezgrenzen hinaus berühmt machen. Mittlerweile hält sogar einmal in der Woche ein Touristenbus vor seinem Laden: Freddy Leck sein Waschsalon ist eine der Hauptattraktionen auf der Route durch ein alternatives Berlin. Und auch das ZDF hat sein soziales Wäschevollprogramm entdeckt. So dass es dem gelernten Schauspieler Dirk Martens à la Freddy Leck manchmal zu viel in seinem eigenen Laden wird.
In solchen Momenten folgt er dann dem Ruf  des Fernsehens und spielt den Bösen. Das entlastet seine Seele. Und schenkt ihm Frieden mit der restlichen Welt, die nicht seinen Waschsalon besucht.

Weitere Informationen:

Der Waschsalon
Gotzkowskystraße 11 • 10555 Berlin Tiergarten • Telefon: 030.50.91.66.52
http://www.freddy-leck-sein-waschsalon.de

 

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CC3.0: “Der Seelenwäscher” von Sven Schlebes steht unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Unported Lizenz. Beruht auf einem Inhalt unter http://sven.schlebes.net/2012/10/05/der-seelenwascher/. Über diese Lizenz hinausgehende Erlaubnisse können Sie unter http://sven.schlebes.net/kontakt/ erhalten.

Modifiziert veröffentlicht auf: www.theo-magazin.de. Ausgabe 05. Autoreneigenpublikation mit freundlicher Genehmigung der THEO Unternehmensgesellschaft.
Foto: (c) Freddy Leck sein Waschsalon, Dirk Martens.