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Liebe(r) konkret 10: Vorsicht, Falle!

Veröffentlicht auf: www.fortschrittsforum.de

Nachdem wir unsere Organisationen optimiert haben, Produkte und Dienstleistungen ist jetzt der Mensch an der Reihe: Deutschland’s Weg zum neuen Wir führt über starke Ich’s. Doch auch hier gibt’s Grenzen des Wachstums!

 

Zwei Wochen, die es in sich hatten. Deutschland sucht. Deutschland diskutiert. Oder besser gesagt: Berufene in noch berufeneren Kreisen. Exklusiv. Mit Blick für das Wesentliche. Das Kümmern. Um das Klima. Die Eurokrise. Den Menschen. Vor allem – den sogenannten Abgehängten. Nichtintegrierten. Den Nichtpartizipierenden. Und das sind, je nach Diskussionsrunde: Alte, Frauen, Migranten, Gehandicapte, Kinder, sozial Benachteiligte, Menschen mit anderer Hautfarbe, Menschen ohne Ausbildungsplatz, ohne Abitur, ohne Job, ohne Perspektive, ohne Hoffnung, ohne Glück. Also: Fast alle. Manche böse Zungen behaupten: Die ominösen 99% . Außer uns Berufene. Wir sind privilegiert. Wir dürfen nachdenken, reden und schreiben. Privilegienmuschis nannte das mal eine Piratin. Und wir Privilegienmuschis kümmern uns natürlich um all‘ die Sorgenkinder da draußen. Die als Einzelfall betrachtet echt arm dran sind. Und additiv eben auch. Manchmal konnten wir uns in den Diskussionen nicht einig werden: Ist Deutschland nun ein Land der Verkümmerten oder einfach nur bleiern vor Kummer, den wir Kümmerer diagnostizieren? Ist die Situation in dem Land, das am besten durch die Eurokrise geschlittert ist, wirklich so bekümmerlich? Spätestens nach dem dritten Komplexvortrag wird das Kuchenbuffet gestürmt und wir befinden uns im Land der gefühlten Wahrheiten. Hier herrscht dann doch Einigkeit: Es gibt noch viel Potenzial zu heben. Humankapital. Auf das wir jedoch leider keinen direkten Zugriff haben. Sondern nur indirekt. Investierend über das Bildungssystem. Und partizipierend über alles andere. Die Systeme und Akteure haben Hunger. Großen Hunger. Nach Kuchen und nach Menschen, die Leistung bringen und Nutzen. Fehlen die Menschen, fehlt die Leistung, stirbt das Systeme mitsamt seinen Akteuren. Noch nicht mal eine Verlangsamung der Humankapitalreife können wir uns leisten. Das wusste schon Meister Hora in Michael Ende’s Momo. Also machen wir Dampf im Kessel der Menschwerdung und entwickeln Kompetenzdiagnostiken, um uns ein genaues Bild vom Menschen zu machen. Ein neues Bild. Tiefer. Vielfältiger. Genauer. Um frühzeitig eingreifen zu können, wenn etwas schief laufen sollte. Im Elternhaus. In der Schule. In der Ausbildung. Im Leben überhaupt. Und eingreifen, also kümmern, das wollen wir in Zukunft schneller, effektiver, einzelfallorientierter. Denn wie gesagt: Zeit für Entwicklungsfehler, die haben wir nicht mehr. Dafür gibt’s ab sofort den Kümmerplan mit Kompetenztransparenz. Von der Wiege bis zur Bahre. Weil: Lebenslang. Und das Eingreifen kennen wir von unseren Militäreinsätzen rund um den Globus: „Rush in. Rush out. Mission completed. Ready.“ Wäre da nur nicht immer die Frage nach dem richtigen Ende des Einsatzes und der Übergang zur Eigenständigkeit. Wer einmal in die Augen von HR-Verantwortlichen großer Unternehmen geblickt hat, die von neuen Dignosetools samt Reportakten aus Schule und Ausbildung träumen, weiß: Hier geht es nicht um Potenzialentfaltung für ein gelingendes, sondern für ein nutzbringendes Leben. Und dementsprechend folgen die Einsatzregeln der Kostennutzenrechnung des Auftraggebers. Und die ist optimiert. Bis zum neuen Menschenbild. Doch das ist noch nicht mal ansatzweise neu definiert. Und trotzdem wird fleissig im Dienste des Kümmerns normiert und effektiviert.

 

Jetzt wäre die Zeit für eine 100% Diskussion über das neue Ich.

Oder ist auch die vor Kummer schon wegrationalisiert?