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Liebe(r) konkret 07: Ich bin wieder da!

Veröffentlicht auf: www.fortschrittsforum.de

Alles hat seinen Preis. Vor allem der Einstieg in die Selbstverantwortung. Die größte Herausforderung: Dafür einzustehen, wer du wirklich bist. Bereit für die Wahrheit?

Wer wissen will, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt, sollte beobachten, wohin das Geld fließt. Und wer die Richtung bestimmt. Das ist ein alter Hut. Vor allem im erlauchten Kreis des Fortschrittforums. Doch in seiner Klarheit immer wieder augenöffnend.

Als ich in dieser Woche mit meiner Tochter vom Morgenspaziergang aus dem Tiergarten zurückkam, machten wir Halt in einem Backwarenfranchisestore. Mit einem Kaffee setzten wir uns an einen Tisch und freuten uns über die Frühlingssonne. Auf dem Tisch lag eine Tageszeitung mit der schlichten Meldung: Die Aktionäre trauen sich wieder aufs Parkett. Allen Blasen, Finanzkrisen und Eurounsicherheiten zum Trotz. Zum ersten Mal seit Jahren verzeichnet das Deutsche Aktieninstitut wieder mehr Aktienkäufe als Verkäufe. Das Interessante: Es seien nicht die institutionellen Anleger, die ihre Fonds wieder für das Aktienspiel im großen Stil öffneten. Die hätten, so der Tonus des Artikel, mittlerweile zu viele rechtliche Restriktionen und auch eine gehörige Portion Respekt vor einem erneuten Reputationsverlust. Nein: Es sein vor allem die Privatanleger.
Und die investierten vor allem in das, was Rendite verspräche – und eben nicht in eine wie auch immer geartete „neue Welt“. Und: Sie hätten gelernt, schneller Verlierer loszulassen und auf neue Pferde zu setzen. Schlechte Zeiten für dauerkriselnde Volksangebote.

Wer hätte das gedacht? Da wird in den intellektuellen Zirkeln dieser Republik die Ausgestaltung des Finanzsystems generell diskutiert und mit ihr die moralische Beschaffenheit ihrer institutionellen und personellen Mitspieler – da schleicht sich der strukturell und mittlerweile auch emotional und kognitiv ungebundene Privatanleger aufs Parkett und haucht dem anrüchigen Spiel neues Leben ein.
Und damit nicht genug: Er hält sich auch nicht an die inhaltlichen Ergüsse von Expertengremien zur sinnvollen und nachhaltigen Ausgestaltung unseres Allgemeinwesens. Nein, er investiert sein Geld in das, was ihm zu erst mal mehr Geld bringt.

Da predigen Prominente wie Hannes Jaennicke seit Jahren dem Endverbraucher: „Du hast die Macht!“ Und der Erfolg unendlicher Ökozertifizierungssyteme scheint ihm Recht zu geben. Doch wer Geld im größeren Stil investieren will, rechnet immer noch mit den alten Weltanschauungsformeln des ideologiefreien Wachstums und der Ertragssicherheit mit ein wenig Kursphantasie. Denn er hat schließlich die Macht.

Diese Loslösung des Einzelnen aus Großsystemen an sich ist ja der Megatrend schlechthin. Und das gleichzeitige Bashing auf das damit verbundene Spiel und seine alten Mitspieler ebenfalls: vor allem bei Religion und Politik. Doch anders als ebenfalls in intellektuellen Zirkeln oft beschworen scheint der Weggeher nicht in der Passivität zu versinken. Nein, er macht das, was die alten Mitspieler wirklich nervös macht: Er kehrt chaotisch-dilletantisch auf das Spielfeld zurück und schert sich weder im Regeln noch um alte Absprachen und neue Erkenntnisse.

Denn jetzt ist seine Zeit angebrochen. Und es geht nicht darum, die Existenz der zurückgelassenen alten Akteure zu sichern, sondern die eigene Kraft zu spüren. Und auch die eigenen Grenzen.

Eine Selbstermächtigung scheint gerade vonstatten zu gehen. Langsam. Leise. Unumkehrbar. Und es ist in der Tat nicht abzusehen, wieviel Freigeist unser hochgetunte-verschränktes On-Demand-Mehr-Generationen-Gesellschaftssystem überhaupt ertragen kann. Wieviel Puffer es für die Unwuchten einer Gesellschaft im Übergang vom Paternalismus hin zur Mündigkeit bereithält. Und über welches geistig-emotionales Rüstzeug die neuen Mitspieler verfügen.

Bringen Sie wirklich das erhoffte Systemupdate mit sich, oder geht das alte Spiel nach einem erfolgreichen Verdrängungswettbewerb mit neuen Spielern weiter?

Im Laden waren wir mittlerweile die einzigen Kunden, und so begann der Verkäufer ein Gespräch mit uns beiden. Über den Euro, seinen Arbeitgeber und seine Freunde. Ob er denn wegen des Ökostroms und des ganzheitlichen Produktionsprozesses in diesem Backstore angefangen habe, wollte ich wissen.

Da zuckte er nur mit den Schultern und meinte lapidar: „Hier verdiene ich im Vergleich zu anderen Stores am einfachsten Geld. So kann ich nach der Arbeit machen, was ich wirklich will und liebe: Mit Freunden abhängen. Einkaufen gehen. Spaß haben.“

Liebe, so habe ich in dieser Woche meiner Suche nach der Liebesrevolution gelernt, ist vielfältig und garantiert nicht so, wie ich es gerne hätte. Liebe, das heißt vor allem für Menschen wie mich: Loslassen und vertrauen. Auf Sinn. Und den anderen. Den Unbekannten.

Klingt unsinnig?

Willkommen in der neuen Zeit.