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Schreib mal wieder

2. inoffizieller Brief der Serie „Schreib mal wieder“ in THEO. Katholisches Magazin.
Rotstiftopfer.

 

Liebe Barbara,

vielen herzlichen Dank für deine wunderbare Nachricht. Vier Kinder hast du mittlerweile? Und das klappt alles wunderbar mit euren beruflichen Tätigkeiten? Wir üben in dieser Hinsicht noch. Mit unserer kleinen Großen waren wir gerade beim zukünftigen Kinderladen bei uns um die Ecke. Vorbesprechung für die Eingewöhnung. 9 weitere Kinder sind in Coco’s zukünftiger Gruppe. Wir hatten Schokoladenostereier mit dabei. Als Warm-Up-Geschenk sozusagen. Ob hier den überhaupt Ostern gefeiert werden, fragte ich die Erzieherinnen. Woraufhin die lachten und meinten: „Natürlich. Ebenso wie das Laubhüttenfest, der Ramadan und Diwali, das Lichterfest der Inder. Je nachdem, welche Kinder gerade in unserer Gruppe sind.“ Vor zwölf Jahren hätte mich das fremdeln lassen. Klingt ein wenig nach Beliebigkeit. Heute weiß ich: Es ist Vielfalt. Und genau deshalb bin ich ja nach Berlin gegangen. Auch wenn hier in der Realität diese Vielfalt häufig die Menschen überfordert und nicht dafür sorgt, dass das eigene Leben reicher wird. Sondern vor allem anstrengender und Ich-bezogener. Nicht aus Desinteresse. Aber das eigene Leben auf allen Ebenen in sich stimmig und funktionierend ständig neu zu gestalten, ist doch ein großer Kraftakt. Brückenbau wird so zur Kür. Auch wenn es Pflicht sein sollte. Ich bin gespannt, wie unsere Kleine mit der Vielfalt umgehen wird. Vor allem in Sachen Glauben in dieser angeblich so atheistischen Stadt. Aber das ist meiner Überzeugung nach eine gern erzählte Mär der aus dem übrigen Bundesgebiet Zugezogenen. Sicherlich: Regelmäßige Kirchgänger mit Biokaffeabo im Gemeindesaal findest du hier kaum. Also das klassische Normalpublikum. Berlin ist Szenestadt. Und jede Szene hat ihre Wallfahrtsorte. Das katholische Ministerialbeamtenbildungsbürgertum ebenso wie die russische Orthodoxen oder evangelikale Afrikaner. Der offen zur Schau getragene Ritualglaube mit Bankplatzvergabe im Sozialrangordnungstakt – das ist in der Tat nicht die Spiritualität der Berliner. Geglaubt wird hier in Kleinstgemeinschaften meist in Hinterzimmern. Das schenkt Wärme in der kalten Anonymität. Und Freiheit in der Ausgestaltung der empfundenen Wahrheit. So wie jetzt hier gerade bei unserem Kiezinder zwei Häuserzeilen weiter. Berlin liebt Indien. Vor allem Bollywood. Und Sharuk Khan. Und alles, was an diese bunte Welt erinnert. So wie dieser Laden hier. Wer bezahlen möchte, geht durch das Restaurant fast bis zur Küche. Die Kasse befindet sich am Fenster zum Hinterhof in Gelb, in dem sich ein kleiner Haustempel mit Altar befindet. Mit frischen Blumen, dem obligatorischen Schirm und einem großen schwarzen Lingam auf dem Dach. Wer will, kann anstatt Trinkgeld für den Koch gerne etwas Milch vergießen. Ich mache natürlich immer beides: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist …“ Auch wenn ich nicht so recht verstehe, was ich da tue. Aber es fühlt sich gut an. Und wenn ich dann wieder am Tisch im Gastraum sitze und auf die alte Zeichnung eines Menschen und seiner Akkupressurpunkte schaue, denke ich manchmal an das Wort vom kommenden Christuskörper, den alle Gläubigen zusammen bilden. Ob man sich wohl aussuchen darf, welches Körperteil man bilden wird? Und gehören die Diwali-feiernden Kinder aus Coco’s Gruppe dann auch zum Organismus? Wer weiß das schon. Wie heißt es so schön: Abwarten und Tee trinken.

Ob mit Honig oder ohne.

 

Süße Grüße aus dem Osten gen Westen an euch sechs,

Sven und Familie