Charles Eisenstein. Der Geist von Occupy. Being Guy Fawkes.
Die Welt ist im Wandel. Und im Westen hat er ein Gesicht: Guy Fawkes, der katholische Offizier seiner Majestät King Jakob I. Die Maske des Konvertiten mit dem aussergewöhnlichen Schnautzbart ist zum Erkennungszeichen des ausserparlamentarisch agierenden WLAN-Wutbürgers geworden. THEO-Redakteur Sven Schlebes hat nachgeschaut, wo die Reise der katholisch Maskierten begann und welches Herz sie in Bewegung hält.
Am Anfang waren Pulverfässer. 36, um genau zu sein. Sorgfältig eingelagert im Keller des Palastes von Westminster – genau unter dem Sitzungsraum des englischen Parlamentes. Wäre alles nach Plan verlaufen, hätte der sogenannte „Gunpowder Plot“ am Tag der Parlamentseröffnung fast die gesamte Elite des britischen Empires ausgelöscht: die Königsfamilie, alle Parlamentsmitglieder, Bischöfe und den Großteil des Hochadels. Als Zeichen des Widerstandes gegen die Verfolgung katholischer Glaubensangehöriger am Vorabend des 30jährigen Krieges auf der Insel. Doch der Soldat Guy Fawkes und seine Getreuen flogen auf und das Empire bedankte sich bei den Revoluzzern mit einer zeitgemäßen Inszenierung der Deliquentenhinrichtung in drei Akten: Hängen, Ausweiden, Vierteilen. Nur Guy Fawkes sparte sich die beiden letzten Akte: Er entkam seinem Henker, sprang mit der Schlinge um den Hals vom Podest und brach sich sein Genick. Wahrlich kein schöner Anblick.
Und doch ein Auftritt mit Symbolkraft. Nur etwas anders, als die Herrschenden sich das so gedacht hatten. Während seitdem der jeweilige Trohnfolger vor der jährlichen Parlamentseröffnung zunächst durch die Kellerräume schreitet auf der Suche nach explosivem Material, feiern die Menschen am 5. November auf den Straße karnevalesk den erfolglosen Attentatsversuch.
Wo der Kölner sich fast zeitgleich in sein Kostüm als Bauer, Jungfrau oder Funkenmariechen zwängt, bedient sich der Engländer der Maske des spitzbübisch grinsenden Guy Fawkes, um dem Anschlag, der keiner war, zu gedenken. Und so recht weiß niemand, ob sie jetzt die Vereitelung feiern und den Dämon Fawkes mit samt den Winterdämonen zum Teufel schicken – oder ob nicht auch Bewunderung mit im Spiel ist für einen Glaubenskämpfer und Elitenfresser. Eine Tüte Fish and Chips halt.
Über vierhundert Jahre war „Being Guy Fawkes“ eine reine Passion der Inselbewohner. Bis der britische Autor Alan Moore mit seinem Comic „V wie Vendetta“ das Umstürzlerpotenzial des Archetypensymbols „Guy Fawkes“ entzeitlichte und in einer neuen Erzählung den Zeitgenossen der Eisernen Lady Magret Thatcher und Ronald Reagans zugänglich machte: Ein gesichtsloser und bombenlegender Anarchist kämpft gegen ein autoritäres England. Der Welt tritt er unter der Maske von Guy Fawkes entgegen: um endlich Profil zu zeigen und erkannt zu werden. Mit Glauben an Gott hat das nichts mehr zu tun. Aber mit einem Glauben an eine Sache. Die Sache des Menschen gegen das System.
Als 2008 die Hackercommunität Anonymus im Internet Aktionen gegen Scientology plante, kam Guy wieder gerade richtig: Als zugleich einende, profilierende und Schutz gebende Integrationsfigur. Seitdem ist „Being Guy Fawkes“ sichtbarer Ausdruck für alle, die sich einzeln aufmachen in einen virtuellen Wir-Kampf gegen die 99%ige Ohnmacht im System der 1%: Ob es eine Sekte sein mag, Banken oder gleich ein ganzes Gesellschaftssystem.
Wer die Tragikkömodie „Bein John Malchovich“ gesehen hat, weiß: In jemanden anderes zu schlüpfen, der Welt über den Körper des anderen zu begegnen und ihn sich anzueigenen, ist purer Sex. Noch dazu, wenn es ein schöner Körper ist und die geenterte Person eine bedeutende kulturelle Rolle spielt. Geliehener Eros sozusagen.
Guy Fawkes ist zwar nur eine Maske, aber hinter seinem Grinsen als Teil einer großen Gruppe unerkannt zu handeln, verleiht Macht und Erregung. Das geht weiter als das euphorisch ausgerufene „Wir sind Papst“- Bekenntnis bei der Wahl von Papst Benedikt.
Hier geht es um eine aktive Veränderung der eigenen Selbstwahrnehmung – fast wie in Jim Carrey’s „Maske“. Eine Ermächtigung findet statt. Eine Ermächtigung, die wir Christen eigentlich über den heiligen Geist erfahren sollen. Und die doch bei den meisten von uns ausbleibt, weil wir beim Blick in den Spiegel uns selbst begegnen. Dem trostlosen Ich. Aber auch maskiert. Und wer bin ich?
Wer mit den Angehörigen der Occupy-Bewegung spricht oder den Anonymus-Aktivisten, wird feststellen, dass auch sie diese Frage nicht beantworten können. Die meisten von ihnen wissen noch nicht einmal genau, wessen Maske sie da eigentlich tragen. Doch es schafft Verbundenheit und schenkt Gewissheit auf eine bessere Zukunft.
Charles Eisenstein, einer der Spin Doktoren der Occupy-Bewegung, gibt dieser Zukunft jetzt in einem Essay einen Namen: Die Revolution der Liebe. Das hat schon mal jemand ausgerufen: Jesus Christus. Und wir scheitern daran. Seit über 2000 Jahren.
Aber es tut gut, wieder daran erinnert zu werden, worum es eigentlich wirklich geht in unserem Leben. Denn Liebe haben wir alle nötiger als jemals zuvor. Liebe jedoch fordert Demaskierung – und eben kein Verstecken. Sondern ein offenes Bekenntnis im Geist, im Herzen, in Wort und Tat. Von allen, die dieser Revolution dienen wollen: Radikale Ichwerdung in der unmittelbaren Hinwendung zum Du. Das ist Sprengstoff pur. Im eigenen Kellergewölbe. Und dafür braucht es keinen Guy Fawkes. Dafür reicht das Original: Jesus Christus.
Sacred Economics with Charles Eisenstein – A Short Film from Ian MacKenzie on Vimeo.
Veröffentlicht in: THEO. Katholisches Magazin. 1|2012.
http://www.theo-magazin.de