Loading...

Die Welt in den Händen

Es muss nicht immer Liebe sein, aber viel Gefühl ist dennoch im Spiel: Beinahe jeder Mensch pflegt als Leser eine Partnerschaft mit seiner Zeitung. Wer welche Tageszeitung warum liest, hat THEO-Autor Sven Schlebes herausgefunden.

Die WELT

Wer von sich glaubt, den Durchblick und damit Führungsqualitäten zu haben, braucht einen Freund, der ihn in seiner Haltung bestärkt, jeden Tag. Da kommt Die Welt gerade recht mit ihrem burschikosen Auftritt, vertreibt die Zweifler und Miesepeter und erklärt dem Leser, wie es wirklich war. Der Welt-Leser will alles wissen, aber es soll möglichst nichts kosten, er ist ständig unterwegs zu wichtigen Terminen – um es sich und der Welt zu beweisen. Ipad und Iphone weisen ihm den Weg durch die Metropolen.Die großen Geister der Gegenwart findet er nur selten im Blatt, einzig der Papst bekommt den Raum, aber manchmal auch ein bisschen Kritik. Den Spaß beim Ausprobieren und Konsumieren lässt der Welt-Leser sich nicht nehmen, Hauptsache, es geht voran.

BILD

Seit ihrer Gründung 1949 liegt Bild fast überall da aus, wo man einkaufen kann. Und so dürfen all die Menschen lesen, worüber die Nation empört und mit dem Titelgirl vor Augen an die verlorene Schönheit im Alltagsleben glauben. Denn BILD weiß, was nicht nur Frauen wollen, und zeigt in Reportagen, dass auch Zoobewohner eine Seele haben. Schließlich hat der Leser an sich ein gutes Herz und ist für alles zu begeistern, und wenn er sich betrogen fühlt von ‚denen da oben‘ schließt er sich zusammen mit den 4,4 Millionen Lesern und ruft bei BILD an – dem Anwalt des kleinen Mannes. Hier heißt der Papst noch heiliger Vater und erreicht das ganze Volk.So viel Sicherheit wie BILD kann nicht einmal seine Kirche bieten, aber genau da ist es, was der Bild-Leser sucht: Beistand in allen Lebenslagen, aber ohne etwas zu verprassen.

FAZ

Wer die Frankfurter Allgemeine ließt, braucht Platz und zwei starke Arme, denn mit gut 30 Quadratmetern bedrucktem Papier pro Tag ist ist Deutschlands bürgerlichstes Sprachorgan eine Zeitung mit Gewicht. Fast zärtlich streicht der Leser die Titelseite glatt, um sich aufzurichten an die Größe und um eins zu werden mit dem Strom der Zeichen. Hier darf und soll der Papst theologisieren, das Publikum will und begreift seine Gelehrsamkeit. Für den FAZ-Leser hat das Wort das letzte Wort- nur selten stört das Bild den Lesefluss, und die Farbe im Layout wurde auf die Sonntagsausgabe verbannt. Schließlich muss der Leser täglich Entscheidungen und braucht dazu die Welt in Schwarz und Weiß- wichtig sind nicht Fragen und Meinungen, sondern Fakten, ist fit in Kultur und Wissenschaft, auch ferne Länder sind ihm nicht fern. Im Urlaub sinnt er nach über die Geschicke der Welt und das freie Spiel des Kapitals.

NEUE ZÜRICHER

Nur vereinzelt lässt sich noch ein Zeitungsleser finden, der morgens mit der Neuen Züricher unterm Arm in einem Coffeeshop verschwindet. Das Geld ist knapp geworden, und auch die Zeit sich, sich ausgiebig einen Überblick zu verschaffen. Was nutzt es da, dass schon Kants >> Kritik der reinen Vernunft< < im Original verrissen worden ist in dieser 225 Jahre alten Zeitung? Der Leser will halt wissen, welche Dramen sich bei den Promis ereignen, und nicht die Mußestunden auf die Erheiterung seiner Seele durch das Wahre und Gute hoffen. Vielleicht ist die Welt aber auch zu laut geworden für den Neue-Zürich-Leser und zu bunt. Ab besten zieht er sich zurück ins Lesezimmer bei einer Tasse Tee, um in Ruhe nach leisen Zwischentönen zu suchen. Die Schweizer vergleichen gern Katholiken mit Calvinisten und Lutheranern und sind meist fair gegenüber dem Papst.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Wer immer schon die Ahnung hatte, irgendwie im falschen Film zu leben, und auf der Suche ist nach dem Wahren und Schönen, lässt sich gern von der Süddeutschen Zeitung die Welt erklären. Denn hier hat die Sehnsucht ihren Platz und der Glaube an das Gute. Was falsch läuft in der Kirche: Hier steht’s oft zuerst. Doch Achtung: jedes noch so große Leiden an der Welt wird aufgefangen mit einem geschliffenen Wort. Und schon passiert das Wunder: Ein wenig eingeschüchtert von der Selbstsicherheit der Sprache kriecht der Leser hinein in die Zeitung, um ein bisschen abzukriegen vom intellektuellen Glanz. Als es in den 90er Jahren cool wurde, ein Unternehmen zu gründen, interessierte sich der Leser der Süddeutschen auch für so was Profanes wie Wirtschaft. Aber der Funke wollte so recht nicht überspringen: Zahlen ermüden ihn – einzig Schöngeist und der Glamour kommen ihn bezaubern.

RHEINISCHE POST

ist wie der rheinische Katholizismus: tief verwurzelt in der Region und dem Frohsinn immer verpflichtet. Da kann kommen was oder wer will: keine andere Tageszeitung kriegt in Düsseldorf ein Bein auf den Boden. Die RP, wie sie kurz heißt, definiert ihre Position sehr klar: >>Zeitung für politische und christliche Kultur<

Abgedruckt in: THEO. Katholisches Magazin, Ausgabe 4|2011.