Touch me, now!
Es gehört zu meinem Job, für Menschen in Teams auf die Suche nach einer gemeinsamen Sprache zu gehen. Alle tauschen sich in derselben Muttersprache aus. Aber sie verstehen sich trotzdem nicht, sondern reden permanent aneinander vorbei. Ein Phänomen, dass mir im Rahmen der Arbeit des Fortschrittforums ebenfalls wieder aufgefallen ist. Kommunikationslose Kommunikation, weil sie nicht berührt – und nur wenige sich wirklich berühren lassen. Und dabei kann eine winzige Berührung ganze Welten zum Einsturz bringen und neue entstehen lassen.
Von Müttern und Vätern geboren
Ich erkläre mir das, ganz laienhaft, so: Als wir beigebracht bekommen sollten, die Welt zu verstehen, über Denksysteme und eben die Sprache, wurde aus der Muttersprache sowas wie eine Vatersprache – denn jedes Denksystem hatte seine eigenen Väter. (Und natürlich auch Mütter. Aber als geistiges Wesen wurde ich zu meiner Zeit mehr von männlichen Denkansätzen geformt. Aber zurück zum Punkt.) Diese Menschen in den Teams, denen wir begegnen, sprechen fast ausschließlich in ihren neuen Vätersprachen. Wenn sie aus den unzähligen Vätersprachen, in denen sie die Welt zu begreifen gelernt haben, denn überhaupt je eine eigene, eine assimilierte Ich-Sprache gemacht haben. Denn glauben Sie mir, wir Menschen haben verdammt viele Väter. Wäre alles nur halb so wild, wenn nicht jeder Vater einen Alleinvertretungsanspruch erhöbe. Exklusiv: „Glaube an mich – und du bist deine Sorgen los. Was die anderen reden, hat dich nicht zu interessieren.“
Nur einem menschengemachten Gott anvertraut
Dieser Alleinvertretungsanspruch macht es nicht nur schwer, sich untereinander gegenseitig zu verstehen. Vielmehr noch: Wer versteht schon sich selbst? Das verständnislose Nebeneinander der Vätersprachen sitzt tief in unseren Hirnzellen, hier tobt der universelle Kampf: Welcher Vater und welche Sprache siegen? Das kulturelle Muster der Assimilation scheint bei den meisten Vätern und ihren Sprachen nicht vorgesehen. Der Autopilot hat übernommen, und der ist auf Überleben eingestellt: Siegen, besiegt werden oder einen kalten Burgfrieden schließen. Bis zum nächsten Krieg.
Auf dem Weg zur eigenen Lebenssprache
Was im Zweifel heißt: Ein Übervater siegt und damit eine Denkschule, oder die befriedeten Kronprinzen sorgen im besten föderalen Sinnen für’s Parallelgebrabbel im eigenen Kopf: Totales Unverständnis, und meist dazu noch eine Kakophonie obendrauf. Wir selbst sprechen dann irgendwie alle Sprachen. Und doch keine. Wir verstehen uns selbst und die Welt nicht mehr. Weil aus der Mutter- und den unzähligen Vätersprachen keine „Ich-Sprache“ geworden ist. Eine neue Sprache. Meine. Mit einer ganz einen Tonalität. Ein Kunstprodukt: Ich weiß. Aber mein einzig fruchtbarer Weg zur Wirklichkeit nach draußen, der mir innerlich Frieden schenkt, weil die innerliche Zerrissenheit aufgehört hat und Neues von Außen nicht permanent den brüchigen inneren Scheinfrieden bedroht.
Wieso? Weshalb? Warum?
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil das Fortschrittsforum noch auf der Suche ist: nach einer eigenen Sprache und seiner eigenen Bedeutung. Und die meisten Menschen, die ich getroffen haben, ihre eigene Sprache noch nicht gefunden haben. Sie versuchen stattdessen, die Stimmen da drinnen und da draußen zu befrieden anstatt sie zu integrieren und gemeinsam nutzbar zu machen. Für etwas Neues. Etwas, das berührt und berührt werden will.
Ist das Fortschrittforum nun ein politikberatender Wissensautomat mit Schlagwortregister? In diesem Fall täte das virtuelle Interface im Web als Kontaktplattform bereits beste Dienste. Ist es eine politiknahe Arena für gesellschaftlichen Positionsaustausch? Dann hieße die Devise: Mehr Großgruppendiskussionen. Oder ist es ein wirklicher Kreationsort für eine neue Art von Fortschritt: Intellektuell, emotional und materiell? Das wäre ein Aufruf an alle Mutigen und Lebenshungrigen zum Experiment ihres Lebens: The art of Lovemaking for Futurecreation in the age of Global German Angst!
Ich hab’s verstanden. Und mich entschieden. Schließlich gab mir meine Konkretomatkollegin gestern Abend auf dem Weg zu ihrem aktuellen Freund noch mit auf den Weg: „Herr Schlebes, mir ist egal, welche Sprache mein Lover spricht. Wenn er mich berührt, haben wir uns verstanden. Verstanden?“
Yes, baby, indeed!
Publiziert auf: www.fortschrittsforum.de