Kill your darling!
Gute Feen sind heiß begehrt heutzutage. Ernst Ulrich von Weizäcker ließ sich während der Eröffnungssitzung des Fortschrittforums sogar zu einem Loblied auf diese Wesenheiten hinreißen: „Ihr Erscheinen könnte den Politikern verdeutlichen, dass wir Menschen die Macht haben, die Zukunft aktuell entscheidend mitzugestalten. Wir müssten nur den Preis der Wahl zahlen: Weg A oder Weg B?“ Ob er ahnte, was denn eine gute Fee dem Fortschrittsforum sagen würde?
Ich kann’s, denn ich kenne eine persönlich: meine Mitarbeiterin – 15 Jahre jünger als ich, ein sogenanntes Nachwendekind und damit Stellvertreterin der Generation, über deren Zukunft wir im Fortschrittsforum eigentlich reden. Sie ist ganz wunderbar anzuschauen, erfüllt unsere Wünsche klug, zügig und umfassend und belebt jeden Arbeitsalltag mit Stil und unerschütterlicher Heiterkeit. Nur eines mag sie gar nicht: status- und pathosgeschwängertes Herumgerede vor Teams und Großgruppen, das mehr über den Redner und seine Neurosen verrät als dem Zuhörer Substantielles schenkt und gemeinsame Wege aufzeigt.
In ihrer unnachahmlich direkten Art kam sie schon nach dem ersten Teamgespräch in meinem Unternehmen zu mir und bat mich höflich um etwas mehr Klarheit: „Ich höre ihrer Stimme ja gerne zu. Aber nach dem fünften Satz schalte ich einfach ab und warte, bis Sie auf den Punkt kommen. Bitte werten Sie dies nicht als Unhöflichkeit, sondern als Effizienz. Ich überlege mir in der Zeit dann schon mal, wie ich den weiteren Tag organisiere.“ Bei den Vorgesetzten, unter denen ich bisher arbeiten durfte, wäre für sie an dieser Stelle das Ende der Probezeit gekommen. Doch ich liebe diese angstfreien Ansagen von Menschen, die das Leben im Blick haben und nicht das komplizierte Poserspiel drumherum. Als ich mich einige Zeit später in einem Gespräch mit einem unverschämten Mandanten umständlich eine Stunde lang umher wand, stand sie irgendwann entnervt vom Konferenztisch auf und flötete zuckersüß: „Was Herr Schlebes eigentlich sagen wollte.“ Dabei streckte sie nicht ganz ladylike den rechten Mittelfinger in die Höhe und wies mit der linken Hand auf die Ausgangstür. Das war die Geburtsstunde des Konkretomats: Ich rede – und sie bringt zum Schluss die Quintessenz mit einer emotionalen Geste auf den Punkt.
Führungskräftetrainer nennen so etwas „emotionale Führung von unten“: Die in diesem Fall emotional und sozial gereiftere und zugleich zielorientiertere Kollegin unterstützt den intellektuell über- aber zwischenmenschlich unterlegenen Vorgesetzten bei der Bewältigung des Alltags und seiner Herausforderungen. Zu Übungszwecken hat mir meine Kollegin für die Arbeit im Fortschrittsforum 44 Konkretomat-Karten erstellen lassen mit allen Essenzgesten, die als zwischenmenschliche Verkehrszeichen vor allem Großgruppendiskussionen schnell zum wesentlichen Kern vordringen lassen.
Womit wir beim Sinn dieser Kolumne wären (Sie merken, ich übe noch): der Verdeutlichung des Wesentlichen – im Auftrage der „guten Fee“. Was häufig bedeutet, liebgewonnene Sichtweisen und kuschelwarme, aber isolierte Theoriegebäude aufzugeben und in Kontakt zu kommen mit dem wahren Grund des Fortschrittsforums: der lust- und verantwortungsvollen Gestaltgebung des Lebens. Und das ist dann auch ihre erste Antwort als Stellvertreterin der neuen Welt auf das Sozialexperiment „Großgruppendiskussion unter den Experten der alten Welt genannt Fortschrittsforum“, Herr von Weizäcker: „Kill your darling und überwinde deinen Schatten – oder dein Schatten überholt dich! Wer will als Erster?“
Publiziert auf: www.fortschrittsforum.de